Verlockendes Dunkel
verzog.
»Du bist verletzt.«
Er schüttelte seine Finger. »Ein Zusammenstoß mit einem Stiefelabsatz. Am Leben zu bleiben bedeutet nicht unbedingt auch, an einem Stück zu bleiben.«
Die Dunkelheit schien von allen Seiten auf sie einzudringen. Eine lauschende, beobachtende Stille, erfüllt von schaler Reue. Elisabeths Haut prickelte, doch nicht aufgrund von Magie, sondern Brendans glitzerndem Charisma. Er hatte schon immer ein faszinierendes Selbstvertrauen besessen. Es gab ihm etwas Schillerndes und brachte die Luft, die er atmete, zum Funkeln. Jeder, der ihn kannte, verfiel dieser seltsamen Mischung aus Zynismus und Attraktivität, die ihn fast wie aus einer anderen Welt erscheinen ließ. Als verliefe das Blut der Magier dick und eisig unter seiner Haut.
Heute Abend schien dieses kristalline Funkeln jedoch gemäßigter, dieses innere weiße Licht zu bloßer Menschlichkeit verblasst zu sein. Oder vielleicht war es ihr auch endlich nur wie Schuppen von den Augen gefallen, und sie sah ihn, wie er wirklich war. Nicht schillernd und makellos vollkommen wie die Feen, sondern wie einen Mann, der von Zeit, Exil und Ereignissen gezeichnet war, die sie sich nicht einmal vorstellen konnte.
Und so stellte sie ihm die erste Frage, die ihr in den Sinn kam. »Hast du deinen Vater getötet, Brendan? Ich habe das nie geglaubt … aber … du sagtest, du verstecktest dich und …« Kaum waren die Worte über ihre Lippen, wünschte sie, sie könnte sie zurückholen, denn der schmerzerfüllte Ausdruck auf seinem Gesicht traf sie wie ein Peitschenhieb.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er ließ sie auf den Schoß fallen und spreizte und krümmte die Finger, bevor er sie mit den Handflächen nach unten auf seine Hose legte.
»Vergiss die Frage!«, bat Elisabeth. »Ich weiß, dass du nichts mit seinem Tod zu tun hattest. Ich hätte gar nichts sagen sollen. Es ist ja auch …«
»So lange her? Mord ist Mord, oder nicht? Es macht keinen Unterschied, ob das Verbrechen vor einer Woche oder einem ganzen Zeitalter begangen wurde. Der Makel bleibt.«
»Aber ihr beide standet euch so nahe. Er liebte dich. Das war für jeden offensichtlich, der euch zusammen sah.«
»Was die Sünde nur noch größer macht, nicht wahr?«
Elisabeth biss sich auf die Unterlippe. »Sagst du, was ich glaube, was du sagst?«
»Nein, Lissa. Ich habe meinen Vater nicht ermordet. Doch ich habe es auch nicht verhindert. Und ist eine Unterlassungssünde nicht auch eine Sünde? Den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Verteidigung.«
Er begann wieder zu spielen. Die munteren Melodien von Das Mädchen, das ich zurückließ erklangen jetzt. War das seine Vorstellung von einem Scherz? Wenn ja, war Elisabeth nicht amüsiert, aber es half tatsächlich, sie aus dem Sumpf dieses stillen Raumes und ihrer düsteren Überlegungen zu ziehen.
»Sollte ich mir jetzt Sorgen machen, dass du mich für das Kopfgeld verraten wirst, das auf mich ausgesetzt ist?«, fragte er über die Musik hinweg.
»Gibt es denn eins?«
»Aber sicher. Ich meine, wenn ich schon wie ein Verbrecher gejagt werde, sollte ich wenigstens einen hohen Preis einbringen, nicht? Es wäre würdelos, weniger als tausend Pfund wert zu sein.« Er scherzte, doch da war auch ein Anflug von Verbitterung in seinem Geplänkel.
»Du wirst mir nicht verraten, wovor du dich verbirgst, nicht wahr? Oder wer hinter dir her ist?«
»Das willst du gar nicht wissen, meine Liebe. Und du würdest es mir sowieso nicht glauben.«
Er beendete das Stück, und die Spannung, die darauf folgte, war beinahe greifbar. Sie dröhnte in Elisabeths Ohren und vibrierte in der Luft wie das Flattern großer Flügel.
»Es hat alles etwas mit Magie zu tun, nicht wahr?« Sie ertappte sich dabei, dass sie bei jedem Flackern der Kerzen auf dem Ständer einen Blick über die Schulter warf. Sogar die Härchen an ihrem Nacken richteten sich auf, weil sie die Blicke unsichtbarer Kreaturen spürte. »Es hat etwas mit den Anderen zu tun«, flüsterte sie und erschrak über einen Windstoß, der an den Fensterläden rüttelte.
»Beruhige dich, Lissa! Es ist niemand hier. Du bist nur sehr verwirrt.«
Sie hörte nicht auf, in die dunklen Ecken des großen Raumes zu spähen. »Sagst du.«
»Glaub mir! Nach sieben Jahren auf der Flucht kann ich kilometerweit Gefahren spüren. Aber du hast recht, meine Schwierigkeiten haben ihren Ursprung in jener Welt. Also bewahre mein Geheimnis, Lissa! Und wenn ich es für sicher halte, werde ich so spurlos
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