Verlockung der Leidenschaft: Roman (German Edition)
in England aufgewachsen wäre. Die jüngere Schwester meiner Mutter wollte mich aufziehen, und nachdem er ein zweites Mal geheiratet hatte, zeigte seine neue Frau kein Interesse daran, mich zu ihnen zu holen. Darum hat er seine Zeit zwischen den beiden Familien aufgeteilt.«
Da er am eigenen Leib erfahren hatte, was es hieß, von der Frau seines Vaters abgelehnt zu werden, hatte er sich geschworen, dass Adela derlei nicht widerfahren durfte.
Niemals.
»Ich verstehe.« Cecily blickte auf ihre gefalteten Hände im Schoß. »Ich war auch sehr jung, als meine Mutter starb. Wir haben eine Menge gemeinsam.«
Ein Mischling mit einer unehelichen Tochter und die schöne Debütantin, die der Liebling des ton war? Fast hätte er laut gelacht, doch er hielt sich zurück. Es war schon komisch, aber es schien ihr damit ernst zu sein. Andererseits ließ er sich ja vielleicht von ihrer eleganten, verführerischen Gestalt und den topasfarbenen Augen blenden. Diese Empfänglichkeit für ihre Schönheit hatte ihn von Anfang an in eine schwache Position gedrängt. Ein anständiger Earl würde niemals mit einer jungen Lady während eines Balls verschwinden, ermahnte er sich. Anstand war für ihn allerdings etwas völlig Neues. Er hatte seine eigenen moralischen Maßstäbe, aber seine Denkweise schien mit den Formen der Höflichkeit, die in der englischen Gesellschaft vorherrschten, nicht vereinbar zu sein.
Wenn er ganz ehrlich war, hatte er intuitiv reagiert, als sie auf ihn zugetreten war. Seinen Verstand hatte er ausgeschaltet. Und diese Macht übte sie über ihn aus, obwohl sie nicht mehr getan hatte, als ihre behandschuhte Hand auf seinen Unterarm zu legen. Er war nicht länger derjenige, der die Situation im Griff hatte. Das bereitete ihm Sorge. Sachlich erklärte er: »Ich danke Euch für das Mitgefühl, aber ich bin immer noch nicht im Klaren darüber, warum wir diese Diskussion überhaupt führen.«
Sie nickte, als sei dies die Antwort, die sie erwartet hatte. »Ihr seid sehr geeignet, Mylord.«
Jonathan wusste auf diese freimütige Erklärung absolut nichts zu antworten. Schließlich brachte er hervor: »Das glaube ich nicht.«
»Ihr seid ein Earl.«
Das immerhin konnte er ihr mit einem knappen Nicken bestätigen. Ob er wollte oder nicht, zumindest das stimmte. Es war nicht so, dass er sich nicht des Umstands bewusst war, dass sein Titel und sein Vermögen einige Ladys des ton dazu brachten, über sein Mischlingsblut hinwegzusehen. Er hatte einfach bisher keine Ahnung gehabt, dass auch Lady Cecily so dachte.
»Darum«, erklärte die junge Lady, die ihm gegenübersaß, als spräche sie vor einem vollbesetzten Gerichtssaal, »vermute ich, dass Ihr unter einem gewissen Druck steht, Euch eine Frau zu suchen? Mein Bruder ist der herzogliche Erbe und zudem ein Marquess, und ich weiß, dass man ihn ständig drängt, eine passende, junge Lady zu finden und mit ihr baldmöglichst einen Sohn zu zeugen.«
Jonathan hatte zwar nichts dagegen, den Akt zu vollziehen, der nötig war, um ein Kind zu zeugen – besonders nicht, diesen Akt mit der wunderschönen Frau zu vollziehen, die mit ihm durch die Straßen Londons rumpelte. Aber er musste immerhin zugeben, dass er ziemlich beunruhigt war über ihre sachliche Art, ihm ein ziemlich dreistes Angebot zu unterbreiten. Schließlich fand er die Stimme wieder. »Ich fürchte, ich verschwende nicht allzu viel Zeit damit, mich um die Erwartungen zu scheren, die andere an mich haben, Mylady.«
»Nein.« Ihr Lächeln war schwach und etwas zittrig. »Ich hätte mir so etwas denken können. Hört mich trotzdem an, wenn Ihr so gut seid, Mylord.«
»Ich gestehe, dieses Gespräch fasziniert mich immer mehr. Es wäre schwer, mich von Euch loszureißen. Fahrt fort.«
Die Kutsche fuhr um die nächste Ecke, und sie stützte sich mit einer Hand auf der Polsterbank ab. Jonathan gab sich große Mühe, das leise Beben ihrer Brüste unter dem Mieder ihres hübschen Kleids zu ignorieren. Damit war er jedoch nicht sonderlich erfolgreich.
»Ist es möglich, dass wir eine Verlobung erfinden und beide davon profitieren? Unsere Familien würden uns dann nicht ständig damit bedrängen, uns möglichst rasch zu verheiraten.« Leise fügte sie hinzu: »Für mich ist das sehr wichtig, Mylord.«
Wer wusste, was er darauf geantwortet hätte, wenn in diesem Augenblick nicht ein grässliches Krachen ertönt wäre. Das Gefährt taumelte seitwärts, und instinktiv stürzte er vor und packte sie. Er schloss sie in die
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