Verlockung
vernahm ich erneut etwas und sah genauer hin. Ein Zweig, der sich im Wind wiegte; dahinter war jedoch etwas anderes. Noch ehe mein Verstand ausmachen konnte, was da vor sich ging, sah ich zwei gelbe Augen aufblitzen. Ich wollte schreien, da schoss es auch schon auf uns zu. Ein braunes Etwas, das nur so groß war, dass es einem Menschen bis zur Hüfte reichte; der Kopf knorrig und deformiert; das Maul ein schwarzer Schlitz mit spitzen Zähnen; die Augen kreisrund und gelb, es gab kehlige bösartige Laute von sich.
„Ein Warpurger“, wisperte Céleste.
Beide hatten das Wesen ebenfalls bemerkt. Sofort begannen Shadow und Céleste aus ihren Händen Zauber zu stoßen, die wie helle Blitze daraus hervor jagten. Einer nach dem anderen traf ins Leere, während der Warpurger immer näher kam. Ich stand vor meinen Freundinnen und bot damit die erste Angriffsfläche. Mein Puls hämmerte geradezu durch meinen Körper. Alles was ich sah, waren die gelben Augen, die stetig näher kamen. Ich konnte mich einfach nicht bewegen! Mein Kopf war wie leergefegt vor Angst und ich selbst vollkommen starr.
„Verdammt“, fluchte Shadow. „Er ist zu schnell.“ Wieder ging einer ihrer Zauber daneben. „Los, lauf!“, brüllte sie mir zu.
Genau in dem Augenblick erreichte mich das Wesen. Ich schrie und endlich kehrte Leben in mich zurück. Ich hetzte los und rannte so schnell es mir möglich war davon. Ich kniff die Augen zu, spürte aber wie ich verfolgt wurde. Noch immer versuchten die beiden den Warpurger zu treffen, doch es wollte ihnen einfach nicht gelingen. Ich raste wie von Sinnen umher. Ich spürte dieses Ding hinter mir und wusste, dass ich keine Chance hatte. Plötzlich stolperte ich über eine Wurzel; es riss mir die Füße weg und ich fiel.
Nun war es aus. Mein Blut kochte vor Angst. Ich konnte kaum noch atmen. Das Wesen war direkt hinter mir. Ich konnte seine Schritte hören und dazu die schrecklichen Laute, die es von sich gab. Zitternd tastete ich den Boden ab. Mein Verstand war ausgeschaltet, alles funktionierte reflexartig. Ich packte das Nächstbeste und wandte mich genau in dem Moment um, als der Warpurger sich auf mich stürzen wollte. Ich schrie, kniff die Augen zusammen, schlug zu und wartete auf mein Ende. Doch es passierte nichts. Noch immer hielt ich die Arme über mich, in den Händen den Gegenstand. Ein Stock. Langsam öffnete ich die Augen. Als erstes sah ich meine Freundinnen, die nicht weit entfernt von mir standen und mich sprachlos anschauten. Plötzlich lachten sie. Was war denn jetzt los? Erst als mein Blick nach vorne fiel, verstand ich den Grund. Ich hatte das Wesen mit dem Stock mitten auf den Kopf getroffen und ohnmächtig geschlagen. Nun musste auch ich lächeln. Die beiden kamen auf mich zu und halfen mir auf.
„Bei der heiligen Finsternis, das gibt es nicht. Wir versuchen das Vieh die ganze Zeit wie wild mit unseren verfluchten Zaubern zu treffen und da kommt Gabriela und zieht ihm einfach eins über den Schädel“, sagte Shadow und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Das musst du mal Herrn Gnat erzählen. Von wegen bei Warpurger helfen nur effiziente Zauber von mittelstarker Magie. Am besten ist immer noch die altbewährte Methode: Einfach draufhauen, bis er sich nicht mehr rührt“, erklärte Céleste lachend.
Ich war unendlich erleichtert, dass uns nichts geschehen war. Dazu mischte sich allerdings auch ein wenig Stolz. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte auch ohne Zauberkräfte nicht schutzlos zu sein.
„Deine Laterne ist leider kaputt gegangen“, sagte Céleste und zeigte mir die Überreste. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich diese verloren hatte, aber es musste bei der Flucht passiert sein.
„Hier, nimm meine. Ich hab eh keine Lust mehr das Teil zu schleppen“, sagte Shadow und reichte mir die Lampe.
Dankend nahm ich diese an. Mit Licht fühlte ich mich wesentlich wohler.
Das Glücksgefühl der eben überstandenen Situation hielt noch eine Weile an. Allerdings nur, bis wir vor einem verfallenen, alten Haus angekommen waren.
„Tja, das ist dann wohl der grausame Ort“, stellte Shadow fest.
Allein der Anblick bereitete mir Gänsehaut. Das Haus wäre der perfekte Ort für einen Horrorfilm gewesen. Mitten im Wald, verfallen, alt und vor allem verlassen. Die Fenster waren allesamt kaputt, ab und an konnte man noch ein paar Scherben im Rahmen sehen, aber dahinter befand sich nichts als schwarze Leere.
„Da müssen wir doch nicht wirklich
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