Verloren: House of Night 10 (German Edition)
»Ich bin genau wie Ihr aus freiem Willen hier, weil ich mich von der Finsternis abgewandt habe! Und wäre ich früher zu Grandma Redbird zurückgekommen oder erst gar nicht weggegangen, dann hätte ich nicht zugelassen, dass Neferet sie entführt. Ich hätte den Kampf nicht so leicht aufgegeben!«
Kalona ging auf ihn zu, packte ihn am Hemdkragen und warf ihn vor den Füßen der Statue zu Boden. »Du konntest dich nicht einmal davon abhalten, Dragon zu töten. Du hast Rephaim angegriffen. Du kannst nicht gegen die Finsternis kämpfen, du närrische Kreatur. All deinen tapferen Worten und ach so edlen Beweggründen zum Trotz bist du von der Finsternis erschaffen worden!«
»Trotzdem muss man mir nicht erst erklären, dass das Leben einer alten Frau nicht nur deshalb zählt, weil man durch sie ihre Enkelin erpressen könnte!«, schrie Aurox ihm ins Gesicht.
Kalona wollte ihn wieder am Kragen packen und durchschütteln, doch Thanatos hielt ihn davon ab. »Nein, der Junge spricht die Wahrheit. Er sorgt sich in der Tat um Sylvia.«
»Aber er ist auch eine Kreatur der Finsternis!«
Da weiteten sich Thanatos’ Augen. »Ja, das ist er. Und das, Krieger, könnte sich als Sylvia Redbirds Rettung erweisen.« Eilig entfernte sich die Hohepriesterin. Kalona und Aurox starrten ihr nach. »Worauf wartet ihr? Kommt mit!«, rief sie ihnen zu, ohne ihren Gang zu verlangsamen. Kalona und Aurox wechselten einen verwirrten Blick, dann taten sie, was ihre Hohepriesterin ihnen befohlen hatte.
Zoey
Ich konnte nicht schlafen. Ich war zu gar nichts fähig, außer mir Sorgen um Grandma zu machen. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was Neferet ihr alles antun könnte, aber mein Geist produzierte am laufenden Band Bilder davon, wie Neferet Grandma weh tat – oder Schlimmeres.
Vielleicht hatte sie sie auch schon getötet.
»Hör auf, das zu denken!«, hatte Stark mich streng ermahnt, als wir uns im Bett aneinandergekuschelt hatten. »Du weißt nicht, was los ist, und wenn du das denkst, machst du dich nur verrückt.«
»Ich weiß. Ich weiß. Aber ich kann nicht anders. Grandma darf nicht sterben, Stark. Nicht Grandma!« Und ich hatte mein Gesicht an seiner Brust vergraben und mich an ihn geklammert.
Er hatte versucht, mich zu trösten, und eine Zeitlang hatte mich seine Berührung beruhigt. Ich hatte mich ganz auf seine Liebe und Kraft konzentriert. Er war mein Krieger, mein Wächter, mein Geliebter. Er gab mir Halt.
Aber dann war die Sonne aufgegangen, und er war eingeschlafen und hatte mich mit meinen Gedanken alleingelassen. Nicht einmal Nalas Schnurrmotor konnte mich jetzt noch beruhigen. Ganz ehrlich, ich hätte mich am liebsten in eine Ecke gekauert und meiner Katze das weiche, orangefarbene Fell vollgeheult.
Aber das würde Grandma auch nicht zurückbringen.
Ich wusste, dass es bei meiner Rastlosigkeit nicht lange dauern würde, bis Stark aufwachte, und während die Sonne am Himmel stand, war das nicht die beste Idee. Daher küsste ich Nala aufs Näschen und schlich mich leise auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Automatisch trugen mich meine Füße in die Küche, wo ich eine Dose eiskalte Cola und eine Tüte NachoCheeseDoritos erbeutete. Eine Weile saß ich am Tisch und wünschte mir, noch jemand würde aufwachen und mit mir reden. Aber niemand zeigte sich. War ja auch kein Wunder. Wir waren schon am Vortag früh aufgestanden, und alle waren mit den Nerven fertig. Sie brauchten ihren Schlaf. Himmel, ich ja eigentlich auch.
Stattdessen starrte ich mein Handy an, trank die Cola und aß die ganze Tüte Chips.
Außerdem weinte ich.
Wenn Neferet Grandma hatte, war das allein meine Schuld. Ich war diejenige, die Gezeichnet worden war und so die Hölle auf meine menschliche Familie losgelassen hatte.
»Ich hätte nicht in Kontakt mit ihnen bleiben sollen.« Ein kleiner Schluchzer brach aus mir heraus. »Wenn ich den Kontakt abgebrochen hätte, hätte Neferet nie was von meiner Mom oder Grandma erfahren. Dann wären sie in Sicherheit … am Leben …« Ich wischte mir die Finger an meiner Jeans ab und putzte mir die Nase mit einem Papier-Küchentuch. »Ich hab diesen Vampyrmist in meine Familie gebracht.« Ich vergrub das Gesicht in dem Küchentuch und heulte los wie eine Zweijährige. »Und so fühl ich mich auch – wie ein blödes Kleinkind! Hilflos! Dumm! Nutzlos!«, schluchzte ich. »Nyx? Wo bist du? Bitte hilf mir. Ich brauch dich ganz dringend!«
Dann werde erwachsen, Tochter. Sei eine Frau, eine Hohepriesterin,
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