Verloren: House of Night 10 (German Edition)
die Chance abzulehnen, sondern schritt zu der im Art-déco-Stil gehaltenen Bar und füllte zwei Gläser mit schwerem Rotwein.
Wie nicht anders zu erwarten, folgte er ihr.
Sie drückte ihm eines der Gläser in die Hand. Als er zögerte, lachte sie. »Es ist nur ein edler Cabernet – ohne den kleinsten Tropfen Blut darin.«
»Oh, natürlich, sicher.« Er lachte gekünstelt, was sie an einen kleinen, zappeligen Schoßhund erinnerte.
Neferet hasste Hunde fast so sehr wie Menschen.
»Ich hatte die Absicht, heute noch mehr Enthüllungen zu machen als lediglich die Information über James Stark«, sagte sie kalt. »Ich halte es für das Recht der Bevölkerung, zu erfahren, wie gefährlich die Vampyre des House of Night geworden sind.«
»Und ich denke, die Bevölkerung sollte nicht unnötigerweise in Panik versetzt werden«, entgegnete er.
»Unnötigerweise?«, fragte sie scharf.
LaFont nickte und strich sich übers Kinn. Neferet wusste, dass er glaubte, klug und wohlwollend zu wirken. In ihren Augen wirkte er schwach und lächerlich.
Und da fielen ihr seine Hände auf. Sie waren groß und bleich, mit dicken Fingern, die trotz ihrer Größe weich, ja fast feminin wirkten.
Neferet drehte sich der Magen um. Sie verschluckte sich fast an ihrem Wein, und einen Moment lang zerbrach ihre eisige Haltung.
»Geht es Ihnen gut, Neferet?«, fragte er.
»Ja, natürlich«, versicherte sie schnell. »Ich bin nur etwas erstaunt, dass Sie es unnötig nennen, Tulsa über die Gefahren aufzuklären, die die neuen Vamypre mit sich bringen.«
»Genau so ist es aber. Nach dieser Pressekonferenz wird Tulsa auf der Hut sein. Wir werden keine weiteren Gewalttaten dulden.«
»Tatsächlich? Und was wollen Sie gegen gewalttätige Vampyre unternehmen?«, fragte sie täuschend milde.
»Nun, ganz einfach. Ich werde das weiterverfolgen, wozu wir heute den Grundstein gelegt haben. Sie haben die Öffentlichkeit wachgerüttelt. Und als Mitglied unseres neuen Komitees und Vermittlerin zwischen der Stadt und dem Hohen Rat der Vampyre werden Sie als Stimme der Vernunft dienen, die sich für ein friedliches menschlich-vampyrisches Zusammenleben einsetzt.«
»Sie wollen also mit Worten gegen Gewalt vorgehen.«
Er nickte und wirkte sehr zufrieden mit sich. »Ja, sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form. Ich muss mich entschuldigen, dass ich Sie mit dieser Zeitungskolumne überrumpelt habe. Der Vorschlag kam in letzter Minute von meinem guten Freund Jim Watts, dem Chefeditor des Scene- Teils der Tulsa World . Ich hätte gern vorher mit Ihnen darüber gesprochen, aber seit Sie heute Nachmittag mit Ihren Neuigkeiten in meinem Büro auftauchten, haben sich die Dinge rasant entwickelt und sind viel zu schnell an die Öffentlichkeit gedrungen.«
Ja, weil ich nachgeholfen habe – weil ich euer unfähiges System ein bisschen in Schwung gebracht habe. Jetzt muss ich nur noch dir genauso Dampf machen wie den Journalisten und Stadträten.
»Es ging mir nicht um Zurückhaltung und Zeitungskolumnen, als ich Sie aufsuchte.«
»Vielleicht nicht, aber ich bin nun seit fast zwanzig Jahren in der Politik hier in Oklahoma, und ich kenne die Leute. Man muss die Dinge langsam und locker angehen, das funktioniert bei ihnen am besten.«
»Wie bei einer Rinderherde?« Sie konnte die Verachtung in ihrem Ton nicht unterdrücken.
»Nun, so hätte ich es nicht ausgedrückt, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich mit Komitees, stichprobenweisen Meinungsumfragen unter der Bevölkerung und der Suche nach guten Lösungsansätzen die Rädchen der Stadtpolitik am reibungslosesten drehen.« Schmunzelnd nahm LaFont einen Schluck Wein.
Verborgen zwischen den Falten ihres Samtkleides schloss Neferet ihre Hand zur Faust, so fest, dass ihre krallenscharfen Fingernägel sich in ihren Handteller bohrten. Darunter sammelten sich warme klebrige Tropfen. Unsichtbar für den ahnungslosen Menschen wanden sich die Fäden der Finsternis an Neferets Bein herauf, suchten … fanden … tranken …
Sie ignorierte die eisige Glut des vertrauten Schmerzes und sah LaFont über sein Weinglas hinweg in die Augen. Rasch sprach sie in leisem, beruhigendem Singsang:
»Nicht zum Frieden mit Vampyren bist du bereit.
Ihr Glanz, ihre Glut – all das weckt deinen Neid.
Pfeif auf Vermittlung und Meinungsumfragen!
Ich befehle dir, ihnen den Krieg anzu –«
In diesem Moment klingelte LaFonts Handy. Er kniff die Augen zusammen, und sein glasiger Blick klärte sich. Er
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