Verloren: House of Night 10 (German Edition)
Tränen, die sie sich zu verbeißen versuchte. Es war bestimmt nicht leicht für sie, dass ihr Dad sie ›geliebte Tochter‹ nannte, während er sie anscheinend immer nur hatte benutzen wollen.
»Wieso?«, fragte Stevie Rae. »Was wollen deine Eltern denn von den Vampyren?«
»Über noch mehr Reichtum, Schönheit und Macht verfügen. In anderen Worten, zu den ganz Coolen gehören. Das ist alles, was sie je wollten – cool sein und Macht haben. Und dazu würden sie jeden benutzen, einschließlich mir und, wie man sieht, Neferet.«
Ihre Worte echoten mal wieder auf seltsame Art meine Gedanken. »Nicht, dass sie das durch Neferet jemals erreichen werden.«
»Echt und wahr, Z, die ist irrer als ’ne Ratte in ’nem Dixi-Klo«, sagte Stevie Rae.
»Was auch immer das heißen soll – ja, stimmt, aber nicht nur«, sagte ich. »Hat außer mir jemand Neferets Gesicht bemerkt, als Aphrodites Dad seine Rede hielt? Ihr hat’s definitiv nicht gefallen, wie das Ganze endete.«
»Ein Komitee, eine Zeitungskolumne und die Sache langsam und vorsichtig anzugehen, hört sich nicht nach etwas an, womit die Gefährtin der Finsternis so recht zu begeistern wäre«, stimmte Damien zu.
»Und sie wirkte auch überhaupt nicht glücklich, als der Bürgermeister die Frage abgeblockt hat, wie gefährlich du und die anderen Roten nun genau sind«, sagte ich zu Stark.
»Ich wär gern mal gefährlich zu Neferet!«, knurrte er, noch immer ein bisschen erschüttert.
»Mein Dad ist verdammt gut darin, irgendwas zu sagen und dann ganz anders zu handeln«, sagte Aphrodite. »Ich kann euch genau sagen, dass er im Moment glaubt, er könnte dieses Spielchen auch mit Neferet spielen.« Sie schüttelte den Kopf. So gefühllos sie klang, ihre Miene war angespannt.
»Wir müssen sofort zum House of Night«, sagte ich. »Falls Thanatos das nicht schon weiß, muss sie es dringend erfahren.«
Neferet
Was sind die Menschen doch schwach und langweilig und schrecklich bieder, dachte Neferet, während sie nach der Pressekonferenz beobachtete, wie Charles LaFont weiterhin affektiert lächelte, die Lage beschönigte und allen direkten Fragen nach Gefahr, Vampyren und Tod auswich. Sogar dieser Mann, der gerüchteweise als Anwärter für einen Senatssitz gehandelt wird und der so charismatisch und dynamisch sein soll … Sie musste ihr sarkastisches Lachen als Hustenanfall tarnen. Dieser Mann war nichts . Von Aphrodites Vater hätte Neferet mehr erwartet.
Vater! , hallte da unerwartet ein Echo aus der Vergangenheit in ihr wider. Neferet zuckte zusammen und packte krampfhaft das filigrane schmiedeeiserne Treppengeländer. Wieder war sie gezwungen zu husten, um zu übertönen, wie das Metall knackte, als sie ihre Finger wieder öffnete. Das war der Moment, da ihre Geduld endete.
»Bürgermeister LaFont, würden Sie mich bitte in mein Penthouse begleiten.« Sie wollte es als Frage formulieren, aber ihre Stimme ließ sich nicht dazu zwingen. Die vier Stadträte, die bei der Pressekonferenz dabei gewesen waren, und der Bürgermeister drehten sich zu ihr um. Ihre Gedanken waren unschwer zu lesen.
Sie alle fanden sie wunderschön und begehrenswert.
Zwei so sehr, dass sie bereitwillig ihre Ehefrauen, ihre Familien und Karrieren aufgegeben hätten, nur um eine Nacht mit ihr zu verbringen.
Charles LaFont war keiner von ihnen. Zwar begehrte auch Aphrodites Vater sie – daran bestand kein Zweifel –, aber sein stärkstes Begehren war nicht sexueller Art. LaFonts größtes Bedürfnis bestand darin, die Sucht seiner Frau nach sozialem Prestige zu stillen. Wirklich eine Schande, dass er nicht geringeren Verlockungen erlag.
Aber sie alle hatten Angst vor ihr.
Darüber musste Neferet lächeln.
Charles LaFont räusperte sich und rückte nervös seine Krawatte zurecht. »Aber sicher doch, gern. Es ist mir ein Vergnügen, Sie zu begleiten.«
Neferet nickte den anderen Herren kühl zu, ohne ihren glühenden Blicken Beachtung zu schenken. Sie und LaFont betraten den Aufzug und fuhren ganz nach oben zu ihrer Penthouse-Suite.
Sie füllte die Zeit nicht mit Smalltalk. Sie wusste, dass er nervös und viel unsicherer war, als er vorgab. In der Öffentlichkeit trug er eine charmant-lockere, selbstherrliche Fassade zur Schau. Aber Neferet sah, welch harmloser, verängstigter Mensch sich dahinter verbarg.
Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie trat hinaus in das marmorverkleidete Foyer ihrer Suite.
»Lassen Sie uns doch etwas trinken, Charles.« Sie gab ihm nicht
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