Verloren: House of Night 10 (German Edition)
Gabe. Und ich stimme Damien zu. Ich glaube auch, es ist der Wahre Blick.«
»Wir alle«, sagte Stevie Rae.
»Können Sie mir helfen?«, fragte Shaylin.
Da tat Thanatos etwas Seltsames. Sie sagte gar nichts. Sie drehte sich um, ging zu ihrem Schreibtisch und starrte darauf hinab, als stünde die Antwort auf Shaylins Frage auf dem großen Jahreskalender, den sie als Schreibtischunterlage benutzte. So stand sie da, wahnsinnig lange, wie es mir vorkam, stumm und mit gebeugtem Kopf. Ich war nahe dran, selbst die Hände hinter dem Rücken zusammenzukrallen, um nicht anzufangen, unruhig zu zappeln, da drehte sie sich endlich um und sah uns vier an.
»Shaylin, ich habe für dich genau dieselbe Antwort, die ich auch für Zoey und Stevie Rae und Aphrodite habe.« Aphrodite brummte etwas davon, sie habe ihr doch gar keine verdammte Frage gestellt, aber Thanatos übertönte sie. »Jede von euch hat von unserer Göttin eine außergewöhnliche Gabe erhalten, was ein Segen für uns ist, denn wir werden alle Macht brauchen, die uns das Licht zur Verfügung stellen kann, wenn wir die Finsternis bekriegen wollen.«
»Sie meinen besiegen , oder?«, fragte Stevie Rae.
Schon ehe Thanatos weitersprach, wusste ich, was sie sagen würde. »Die Finsternis kann niemals wahrhaft besiegt werden. Sie kann nur bekriegt und durch die Liebe, das Licht und die Wahrheit als das entlarvt werden, was sie ist.«
»Na toll. Wir sind mal wieder die Loser. Wusste ich’s doch«, murmelte Aphrodite.
»Ich werde«, fuhr Thanatos fort, »jeder von euch eine Aufgabe geben, um eure Gaben zu schulen. Zuerst dir, Prophetin.«
Aphrodite seufzte schwer.
»Deine von Nyx verliehene Gabe ist es, Visionen von zukünftigen Katastrophen zu erhalten. Hattest du vor Neferets Pressekonferenz eine Vision?«
Aphrodite sah überrascht aus. »Nein. Ich hatte jetzt schon etwa eine Woche lang keine Vision mehr.«
»Nun, wozu bist du dann nütze, Prophetin?« Ihr Tonfall war hart und kalt. Fast grausam.
Aphrodite wurde kreidebleich und lief dann knallrot an. »Was glauben Sie, wer Sie sind, dass Sie mich in Frage stellen? Sie sind nicht Nyx, und ich bin nur Nyx Rechenschaft schuldig!«
Thanatos’ Miene entspannte sich wieder. »Exakt. Dann lege Rechenschaft vor ihr ab. Höre auf sie. Halte Ausschau nach ihren Zeichen und Signalen. Deine Visionen wurden von Mal zu Mal schmerzhafter und schwerer zu durchschauen, nicht wahr?«
Aphrodite nickte kurz und angespannt.
»Vielleicht liegt es daran, dass die Göttin möchte, dass du deine Gabe auf andere Art zum Ausdruck bringst. So, wie du es, wenn ich mich recht erinnere, einmal vor dem Hohen Rat getan hast. Weißt du noch?«
»Natürlich. Ich wusste, dass Kalonas und Zoeys Seelen ihre Körper verlassen hatten.«
»Aber dazu brauchtest du keine Vision.«
»Nein.«
»Nun, ich glaube, damit wäre alles gesagt.« Thanatos wandte sich an Stevie Rae. »Du bist die jüngste Hohepriesterin, die ich je getroffen habe, und ich lebe wahrlich schon lange. Du bist außerdem die erste Hohepriesterin mit rotem Mal in der Geschichte unseres Volkes. Und du hast eine mächtige Erdaffinität.«
»Jaaaa«, sagte Stevie Rae gedehnt, als wartete sie nur auf das große Aber.
»Deine Aufgabe ist es, deine Führungsqualitäten zu schulen. Du überlässt viel zu oft Zoey die Führung. Du bist eine Hohepriesterin. Schöpfe Kraft aus der Erde und fang an, dich so zu verhalten und zu handeln, wie eine Hohepriesterin das sollte.« Thanatos gab Stevie Rae keine Chance, sich zu äußern. Ihr dunkler Blick durchbohrte Shaylin. »Wenn du wirklich den Wahren Blick besitzt, ist deine Gabe nur so viel wert wie du selbst. Vertändele sie nicht mit kleinlichen Gehässigkeiten und Eifersüchteleien.«
»Deshalb bin ich ja hier«, sagte Shaylin schnell. »Ich will lernen, sie richtig zu benutzen.«
»Das, mein Kind, ist etwas, was du dir mit der Zeit selbst erarbeiten musst. Deine Aufgabe ist es, die Personen um dich herum zu studieren. Geh mit deinen Ergebnissen zu deiner Hohepriesterin. Stevie Rae wird dir mit der Macht ihres Elements sowie ihren wachsenden Führungsqualitäten zur Seite stehen.«
»Aber ich weiß –«, fing Stevie Rae an. Thanatos schnitt ihr das Wort ab. »Und du wirst es nie wissen. Nichts. Überhaupt nichts, was irgend von Bedeutung wäre. Außer , du stellst dich der Verantwortung, eine Hohepriesterin zu sein. Lerne, dir selbst zu vertrauen, nur dann können andere sich dir mit einem guten Gefühl anvertrauen.«
Stevie Rae
Weitere Kostenlose Bücher