Verloren: House of Night 10 (German Edition)
betrachtete mit hasserfüllter Grimasse Zoey und Stark und merkte auf, als ihr Name fiel. Neferet drehte die Lautstärke auf. Thanatos’ Stimme schallte ihr um die Ohren: »… Neferet ist verärgert über ihre Entlassung. Ihre Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage …«
Ihr wurde mit einem Schlag eiskalt.
»Dieses Miststück wagt es, mich eine gewöhnliche Angestellte zu nennen!« Ein so rasender Zorn stieg in ihr auf, dass mit einem Mal die Glastür der Terrasse zersprang. Ein Regen aus Glassplittern ging auf den Marmorboden nieder.
»Wir alle leben in Tulsa und lieben es – also lasst uns in aller Eintracht hier wohnen!« Zoeys absurd fröhliche Stimme knirschte in ihren Ohren wie ein Reibeisen.
»Du wirst nicht wieder alles zunichtemachen, was ich angefangen habe, du widerliche Göre!«, schnaubte sie. Als Thanatos ankündigte, dass das House of Night ab sofort auch Bewerbungen von menschlichen Lehrern annehmen würde, stand Neferet der Mund ebenso offen wie dem Reporter. Nach dem freundlichen »Frohes Treffen, frohes Scheiden und frohes Wiedersehen« der neuen Hohepriesterin hörte Neferet ungläubig dem sinnlosen Geplapper der Nachrichtenmoderatoren darüber zu, wie spannend doch der Austausch zwischen Menschen und Vampyren sei und welch ein großes Ereignis der Tag der offenen Tür mit Jobbörse für die Stadt doch sein würde, während der Bildschirm hinter ihnen eine Nahaufnahme von Zoey Redbirds lächelndem Gesicht zeigte. Unfähig, den Anblick auch nur eine Sekunde länger zu ertragen, schaltete sie den Fernseher aus.
In der praktisch angelegten Nische zwischen Salon und Esszimmer klingelte jetzt ihr Computer. Auf dem Bildschirm erschien eine stilisierte Silhouette von Nyx mit emporgereckten Armen und daneben die Worte DER HOHE RAT DER VAMPYRE.
Langsam trat Neferet an den Computer und nahm das Gespräch mit einem Mausklick an, der automatisch auch die Kamera aktivierte. Kühl lächelte sie die sechs Hohepriesterinnen an, die mit sorgenvollen Mienen auf ihren Marmorthronen saßen. »Ich habe Euren Anruf erwartet.«
Duantia, die Älteste des Rates, ergriff das Wort. Neferet fand, dass sie sehr, sehr alt klang. Ihr langes dichtes Haar war definitiv mehr silbern als braun, und Neferet war sich sicher, dass sie unter ihren Augen Tränensäcke sah. »Man rief dich vor den Hohen Rat nach Venedig, und doch bist du immer noch in Tulsa. Was hat dich aufgehalten?«
»Ich bin beschäftigt.« Neferet achtete sorgsam darauf, dass sie eher amüsiert als verärgert klang. Oder gar verängstigt. Sie durfte niemals den Eindruck erwecken, als fürchtete sie sie – oder überhaupt irgendjemanden. »Eine Reise nach Italien käme mir derzeit sehr ungelegen.«
»Dann zwingst du uns, das Urteil in absente reo zu fällen.«
Neferet schnaubte. »Spart Euch Euer Latein für Vampyre auf, die zu alt sind, um noch etwas von der Gegenwart mitzubekommen.«
Duantia fuhr fort, als hätte sie nichts gesagt. »Unsere Schwester und siebtes Ratsmitglied Thanatos hat durch ein Enthüllungsritual, dem die Hohepriesterin Zoey Redbird, ihr –«
»Diese Rotzgöre ist keine Hohepriesterin!«
»Du wirst mich nicht noch einmal unterbrechen!« Selbst durch das Internet, über Tausende von Meilen hinweg, war Duantias Macht noch zu spüren. Neferet musste all ihre Kraft aufbieten, um nicht vor dem Bildschirm zurückzuweichen.
»Dann sagt, was Ihr zu sagen habt. Ich höre.«, erklärte sie ohne jede Emotion.
»Diesem Enthüllungsritual, dem Thanatos vorstand, wohnten die junge Hohepriesterin Zoey Redbird und ihr Kreis bei, dessen Mitglieder von Nyx mit je einer Elementaffinität gesegnet wurden, sowie mehrere Söhne des Erebos. Während dieses Rituals gab die Erde preis, dass du eine Menschenfrau ermordet und dem weißen Stier der Finsternis geopfert hast, der offensichtlich dein Gefährte ist.«
Neferet sah die Ratsmitglieder nervös auf ihren Thronen hin- und herrutschen, als wäre es schon fast zu viel für sie, die Worte ›Weißer Stier‹ und ›Gefährte‹ in einem Atemzug zu hören. Das gefiel ihr. Bald schon würde der Hohe Rat mehr als nur bloße Worte ertragen müssen.
»Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Neferet?«, schloss Duantia.
Neferet richtete sich zu voller Größe auf. Um sich herum spürte sie die Fühler der Finsternis, spürte, wie sie um ihre Fußknöchel glitten und sich um ihre Schenkel wanden. »Ich brauche mich nicht zu verteidigen. Die Menschenfrau zu töten war kein Mord, sondern ein
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