Verloren: House of Night 10 (German Edition)
einen Vogel, wenn ich auch zugeben muss, dass deine Eifersucht amüsant ist.«
Kalona schluckte die bittere Galle hinunter, die beim Gedanken, sie zu berühren, in seiner Kehle aufstieg, und trat dicht vor sie hin. Er lenkte seine Schwingen nach vorn und ließ seine weichen, kühlen Federn über ihre Haut streichen.
»Ich bin etwas Größeres als ein Vogel.«
»Warum sollte ich dir deinen alten Platz wiedergeben?« Sie klang gleichgültig, doch Kalona konnte spüren, wie sie unter seiner Liebkosung erwartungsvoll zu beben begann.
»Weil du als Göttin es verdienst, einen unsterblichen Gefährten zu haben.« Er trat noch einen Schritt näher im Wissen, dass dann die Verlockung seiner mondkühlen, unsterblichen Macht für sie zu spüren sein würde.
»Ich habe bereits einen unsterblichen Gefährten.«
»Keinen, der hierzu in der Lage ist.« Kalona umschloss sie mit seinen Schwingen. Langsam kniete er vor ihr nieder, seine Lippen nur wenige Zoll von ihrer bebenden Haut entfernt. »Ich würde dir gut dienen.«
»Wie?« Ihre Stimme verriet keine Regung, doch ihre Hand hob sich und strich über die Innenseite seines Flügels.
Kalona schloss alles außer der körperlichen Empfindung aus seinem Geist aus und stöhnte.
Sie fuhr fort, ihn zu streicheln. »Wie?«, fragte sie noch einmal und fügte hinzu: »Zumal du nun ja einer neuen Herrin dienst.«
Er hatte damit gerechnet, dass sie von seinem Eid an Thanatos wusste, und sich eine Antwort zurechtgelegt.
»Die einzige Herrin, der ich wahrhaft dienen kann, ist eine Göttin, und sollte meine Göttin mir vergeben, so werde ich alles tun, was sie von mir verlangt.« Es war ihm amüsant erschienen, das Wortspiel weiterzuführen – Neferet würde glauben, er spräche von ihr, während er im Grunde jede beliebige weibliche Göttin meinen konnte. Doch in dem Moment, da er die Worte aussprach, durchzuckte ihn wie ein Blitz die Bedeutung, die darin lag, und er keuchte auf und taumelte vor der Kreatur zurück, die vor ihm stand. Mit diesem einen Satz endeten all die Spielchen, die er äonenlang mit sich selbst gespielt hatte. Ich wurde erschaffen, um einer einzigen Göttin und nur ihr zu dienen. Und Neferet verkörperte das Gegenteil von allem, wofür Nyx stand. Kalona wandte ihr den Rücken zu und vergrub das Gesicht in den Händen. Wie konnte ich jemals glauben, sie oder irgendeine andere Frau könnten Nyx’ Platz in meinem Herzen einnehmen? Jahrhundertelang war ich nichts als eine leere Hülle meiner selbst und versuchte verzweifelt, das, was mir fehlte, durch Gewalt und Begierde und Macht zu ersetzen. Nichts! Nichts davon brachte mir Erfüllung!
Da spürte er ihre Hände auf seinen Schultern. Sie waren warm und weich und schienen Güte auszustrahlen. Sanft, ganz sanft drehte sie ihn zu sich um. Kalona hob den Kopf – und erstarrte. Neferet war ihm nicht gefolgt. Sie hatte sich nicht bewegt. Sie konnte ihn nicht berührt haben. Neferet hatte ihn nie auf so sanfte Art berührt.
Nyx schon.
Plötzlich spürte er Nässe auf seinen Wangen. Geistesabwesend wischte er sich die Tränen ab.
»Hmmm …« Neferet beobachtete ihn aus der Entfernung und tippte sich mit einem langen scharfen Fingernagel ans Kinn. Nichts an ihr ließ darauf schließen, dass gerade eben Nyx für ihn spürbar gewesen war.
Hatte er sich die Göttin nur eingebildet? Nein! Da war ihre Berührung – ihre Wärme – ihre Güte. Nyx war da gewesen. Kalona wollte es mit ganzem Herzen glauben.
»Ich muss sagen, dein Flehen lässt mich nicht gänzlich kalt, Kalona. Du scheinst allmählich zu lernen, wie man zu einer wahren Göttin spricht. Vielleicht werde ich dir deinen Verrat vergeben und dir wieder erlauben, mich zu lieben. Unter einer Bedingung.«
»Ich werde alles tun.« Kalona richtete die Worte an seine unsichtbare Göttin und hoffte nur, dass sie noch da war und ihm zuhörte.
»Diesmal wirst du mir Zoey Redbird bringen müssen. Allerdings nicht, weil ich sie töten will – zumindest noch nicht. Ich glaube, es wird viel amüsanter sein, sie zu quälen.« Langsam schritt sie zu ihm hin und ließ ihre Fingernägel über seine Brust gleiten. Sie durchbrachen seine Haut und hinterließen feine scharlachrote Linien. Neferet drehte ihre Hand um, und das Blut lief an ihren Fingern herab in ihre Handfläche. Sie barg es in der Hand, beugte sich vor und leckte über seine Wunden, die sich sogleich schlossen. Lächelnd trat sie an ihm vorbei. »Ich hatte schon vergessen, wie delikat du schmeckst.
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