Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
klar wie nur möglich gewesen. Antonia würde niemals vergessen können, was er einmal gewesen war. Es konnte keine Zukunft für sie geben. Jedes Mal, wenn sie sich liebten, würde sie ihn ansehen und daran denken, wie er all dieses Können, seine Techniken erworben hatte. Er hatte seinen Körper gegen Schutz und Sicherheit eingetauscht. Gegen die Chance, am Leben zu bleiben. Mehr als ein Jahr lang war er eine Hure gewesen. Die Tatsache, dass er kaum eine andere Wahl gehabt hatte, änderte nichts an dem, was er getan hatte und was ihm angetan worden war. Das Jahr hatte ihn für immer verändert, und selbst Antonia, so unschuldig sie auch sein mochte, musste das klar sein.
Plötzlich wandte sich Kemble vom Fenster ab. »Was treibt einen Menschen an, Lloyd?«, fragte er und zog die Stirn nachdenklich in Falten.
»Wie bitte?«
»Das grundlegende Wesen eines Menschen«, sagte Kemble und ging langsam an der Reihe der Fenster mit den schweren Samtportieren entlang. »Ich grüble gerade darüber nach. Im Grunde genommen denke ich, dass zwei Dinge alle Menschen antreiben: entweder ist es das Geld oder der Sex – oder sogar beides. Geld bedeutet Macht, und Macht beschert einem Sex.«
Gareth wusste nicht so recht, worauf Kemble hinauswollte. »Es gibt auch noch den Durst nach Rache«, bemerkte er. Er hatte heute sehr oft an den verstorbenen Duke gedacht. »Die Menschen tun eine Menge, um Vergeltung zu üben.«
Kemble blieb stehen. »Es ist seltsam, aber ich habe immer angenommen, Rache wäre eher eine Motivation für Frauen«, sagte er nachdenklich. »Männer haben auch Rachegelüste, ja, aber üblicherweise, weil sie ihre Macht erhalten wollen – wohingegen eine Frau Rache aus Boshaftigkeit verübt.«
Gareth schüttelte nur den Kopf. »Ihr seid heute sehr philosophisch, alter Knabe. Ich bin solch tiefschürfender Gedanken nicht fähig und –«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür erneut. Coggins trat herein und wirkte ein wenig verwirrt. »Ich bitte um Verzeihung, Euer Gnaden«, sagte er. »Aber ein Gast ist eingetroffen. Lord Litting, ein Neffe des verstorbenen Dukes.«
»Litting?« Gareth stand auf. »Was kann er wollen, zum Teufel?«
»Ihr kennt ihn?«, fragte der Butler.
Gareth lehnte sich gegen den Schreibtisch. »Ja, aus unserer Kinderzeit«, erwiderte er. »Es gibt nichts, was er von mir wollen könnte.«
Coggins hüstelte. »Darf ich ihn hereinbringen, Euer Gnaden?«
Gareth winkte zur Tür. »Auf jeden Fall«, sagte er. »Führt ihn herein, dann hören wir ja, was er zu sagen hat.«
Litting! Ausgerechnet heute, verdammt. Nachdem die Tür sich wieder geschlossen hatte, beugte Kemble sich ein wenig vor. »Es könnte sein, dass ich ungewollt Littings Besuch verursacht habe«, erklärte er ruhig. »Soll ich im Zimmer bleiben?«
Gareth wollte die Augen verdrehen. »Sagt nichts mehr«, entgegnete er. »Vielleicht sollte ich besser keine Details darüber kennen, was Ihr im Schilde führt. Und ja, Ihr bleibt.«
Einige Augenblicke später kehrte Coggins zurück. Litting rauschte wie ein Wirbelwind ins Zimmer; er trug noch seinen Reiserock und war ganz offensichtlich verärgert. Mit seiner beginnenden Glatze und dem hervorstehenden Bauch unter der teuren Weste ähnelte er kaum mehr dem Jungen, den Gareth einst gekannt hatte.
Sobald der Diener den Raum verlassen hatte, warf Litting ein Schreiben auf Gareth’ Schreibtisch. Es rutschte über die Tischfläche und fiel fast in Gareth’ Schoß. »Ich würde gern wissen, was das hier zu bedeuten hat, Ventnor«, verlangte er zu wissen, während er seine Handschuhe abstreifte. »Deine Hunde auf mich loszulassen ist eine ziemliche Unverfrorenheit.«
Gareth griff nach dem Schreiben und überflog es. Zu seinem Schrecken war es vom Innenminister unterzeichnet. Unbehaglich räusperte er sich. »Ich kann dir versichern, Jeremy, dass ich Mr. Robert Peel nicht einmal flüchtig kenne. Genau genommen kenne ich nicht einmal jemanden, der ihn kennt.«
»Genau genommen kennt Ihr aber doch jemanden, Euer Gnaden.« Kemble beugte sich anmutig über den Schreibtisch und nahm Gareth den Brief aus der Hand. Sein Blick glitt über die Zeilen, dann schaute er Litting mit einem einfältigen Lächeln an. »Gestattet, dass ich mich vorstelle, Mylord. Ich bin Kemble, der Sekretär des Dukes. Ich denke, dass ich vielleicht indirekt veranlasst habe, dass dieser Brief an Euch geschickt wurde.«
» Geschickt?«, bellte Litting. »Er wurde nicht geschickt! Er wurde von irgendeinem
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