Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
vertraut; nach Tinte und neuem Papier, so wie früher das Büro seines Großvaters – ein Geruch nach dem Geld, das hier verdient wurde, wie Zayde immer gesagt hatte.
An einem Pult, das in der Nähe der Fenster stand, saß ein junges Mädchen auf einem hohen Stuhl. Sie hatte den Kopf konzentriert über ihre Arbeit gebeugt, während ihre Zungenspitze aus einem Mundwinkel hervorschaute. In der Hand hielt sie eine zerfaserte Schreibfeder. Das lange dunkle Haar reichte ihr bis zur Taille, ihr Blick war ernst.
Gabriel trat einen Schritt näher. Das Mädchen legte die Feder aus der Hand. »Hallo«, sagte sie scheu. »Bist du der Junge, den Luke mitgebracht hat?«
Gabriel nickte und ließ seinen Blick rasch über den Schreibtisch gleiten. »Was machst du da?«
»Ich kopiere Verträge.« Das Mädchen lächelte. »Es ist schrecklich langweilig, aber Luke sagt, es verbessert meine Schrift. Ich bin übrigens Zee. Und wie heißt du?«
»Eine ausgezeichnete Frage!« Der Mann namens Luke Neville war aus seinem Büro getreten. »Wie lautet dein Name, Junge? Wir müssen wissen, wie wir dich nennen sollen.«
Hatten sie vor, ihn bleiben zu lassen? »Ich ... ich heiße Gabriel, Sir.« Er fühlte sich schwach vor Erleichterung. »Aber ich glaube nicht, dass mir der Name noch gefällt.«
Luke Neville grinste breit. »Du spürst wohl noch den heißen Atem deiner Verfolger im Nacken, was?«, bemerkte er. »Gefällt dir ein anderer Name besser?«
»Gareth«, sagte er. »Einfach nur Gareth Lloyd, Sir – wenn das in Ordnung ist?«
Der Mann lachte. »Menschen kommen oft auf die Inseln, um hier ein neues Leben anzufangen und das alte hinter sich zu lassen«, sagte er. »In Ordnung, Gareth Lloyd. Sag mir noch eins: Wie steht es um deine Rechenkünste? Hast du einen Sinn für Zahlen?«
Gabriel nickte eifrig. »Ich liebe Zahlen, Sir«, sagte er.
Luke Neville beugte sich hinunter, stützte die Hände auf die Knie und sah Gabriel direkt in die Augen. »Also gut – wenn mein Lager mit fünfzig Kisten Bananen gefüllt ist, jede wirft einen Gewinn von einem Pfund und zwölf Shilling ab, ich aber auf dem Weg zum Hafen fünfzig Prozent davon durch die Schwarzfäule verliere, wie hoch ist dann noch mein Profit? Und wie viel habe ich verloren?«
Gabriel zögerte nicht. »Ihr würdet zweiunddreißig Pfund durch die verdorbenen Kisten verlieren, Sir, und achtundvierzig Pfund Profit mit den dreißig guten erzielen.«
»Verdammt!« Luke Nevilles Augenbrauen schossen überrascht in die Höhe. »Ich glaube, wir werden für dich etwas zu tun finden, Junge.«
Es war später Nachmittag, als Gareth sich in der Halle von Mr. Kemble verabschiedete. Mit einem Korb Rosen am Arm kam Antonia durch den Wintergarten herein. Wieder trug sie ihr grünes Kleid, und das Haar fiel ihr in weichen Wellen über eine Schulter. Sie sah hinreißend aus.
»Ihr wollt uns doch nicht etwa verlassen, Mr. Kemble?«, sagte sie und eilte zu den beiden Männern. »Bitte, bleibt doch noch – zumindest zum Dinner.«
Kemble vollführte eine anmutige Verbeugung. »Ich fürchte, dringende Angelegenheiten rufen mich nach London zurück, Euer Gnaden«, sagte er. »Aber ich bleibe natürlich immer Euer demütiger Diener.«
Antonias Augen leuchteten vor Lachen. »Ihr mögt ja sehr viele Eigenschaften haben, Mr. Kemble«, erwiderte sie und reichte ihm eine Rose, »aber Demut gehört, denke ich, nicht dazu.«
Kemble lächelte und brach ein Stück des Stieles ab. »Dies muss eine der letzten Rosen des Sommers sein«, sagte er nachdenklich, während er sich die Blume hinter das Hutband steckte. »Nun denn, seid doch bitte so freundlich, Mrs. Waters meinen Abschiedsgruß auszurichten. Ich hatte leider keine Gelegenheit mehr dazu.«
»Nellie ist oben und schüttet all meine Medizintränke in den Nachttopf«, bekannte Antonia. »Sie hat große Freude dabei.«
»Die Medikamente, die Osborne Euch verschrieben hatte?« Gareth legte eine Hand unter ihren Ellbogen und zog sie beschützend an sich. »Ich gestehe, auch ich wollte dich bitten, sie nicht mehr einzunehmen. Gott allein weiß, was sie alles enthalten.«
»Nun, ich habe sie eigentlich nie genommen«, sagte Antonia. »Trotzdem denke ich, die meisten waren harmlos.«
»Höchstwahrscheinlich«, stimmte Kemble ihr zu. »Vielleicht waren Osbornes Pläne auch nicht von Anfang an bösartig. Warnehams Husten vor der Hochzeit hat ihn wahrscheinlich einfach nur auf eine bessere Idee gebracht, als seine Mutter weiterhin morden zu lassen.
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