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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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sorgte für hitzige Diskussionen unter den Seminarteilnehmern. Alle Studenten redeten von dem Roboter als »sie«. Die Designer hatten bestmögliche Arbeit geleistet, um Nexi ein Geschlecht zu geben. Und dass man »ihr« die Augen verbunden hatte, signalisierte Sehvermögen und Bewusstsein. Im Seminar wurden verschiedene Fragen aufgeworfen: Wurden die Augen verdeckt, weil es zu beunruhigend wäre, Nexis Augen zu sehen? Blieben die Augen offen, wenn Nexi abgeschaltet wurde – wie bei einer Toten? Wollten die Konstrukteure womöglich verhindern, dass sie ihre Umgebung »erkennt«? Wollten sie vielleicht nicht, dass Nexi »weiß«, dass sie, wenn sie nicht benutzt wird, hinter einem Vorhang abgestellt wird? Diese Gedanken führten die Studenten zu einer noch beunruhigenderen Frage: Falls Nexi klug genug ist, um eine Augenbinde zu benötigen, die sie davor schützt, ihre Situation zu erfassen, bedeutet es dann, dass sie Subjekt genug ist, um ihre Situation als Misshandlung bezeichnen zu können? Die Studenten waren sich einig: Nexi die Augen zu verbinden signalisiert: »Dieser Roboter kann sehen.« Und Sehen impliziert ein ausreichendes Maß an Begreifen und Innenleben, um von einer Misshandlung sprechen zu können.
    Sigmund Freud beschreibt das Unheimliche als etwas, das seit langem vertraut ist und seltsam unvertraut erscheint. Das Unheimliche
steht zwischen den Standardkategorien und fordert sie heraus. Es ist ein vertrauter Anblick, eine Puppe einfach daliegen zu sehen. Aber wir müssen ihr nicht die Augen verbinden, denn dann wären wir es, die der Puppe Lebendigkeit zubilligen. Es ist etwas Vertrautes, ein ausdrucksvolles Gesicht zu sehen, das uns anzieht, aber wenn wir der Person die Augen verbinden und sie hinter einen Vorhang stellen, bestrafen wir sie. Der Furby mit seinen Angstbekundungen und die mit Geschlechtsattributen ausgestattete Nexi sind das neue Unheimliche in der Computerkultur.
    Noch unheimlicher wird es mir, als ich von einem wunderschönen »weiblichen« Roboter erfahre, Aiko, die man überall kaufen kann. Aiko sagt: »Bitte lass los, du tust mir weh«, wenn man ihr zu stark auf die künstliche Haut drückt. Und sie protestiert, wenn man ihre Brüste berührt: »Ich mag es nicht, wenn du meine Brüste anfasst.« Ich finde diese programmierte Geltendmachung von Grenzen und Sittsamkeit verstörend, weil man sie kaum mitanhören kann, ohne sich einen Frauenkörper vorzustellen, der jederzeit für einen Übergriff gewappnet sein muss.
    Die romantische Reaktion in der Stunde des Roboters
    Bald schon mag es ganz natürlich erscheinen, einen Roboter »leiden« zu sehen, wenn man ihm wehtut. Es mag ganz natürlich erscheinen, mit einem Roboter zu reden und seine programmierte Freude zu sehen, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt. Während die Intensität der Erlebnisse mit Robotern zunimmt und wir uns neue ethische Grundlagen zu eigen machen, könnten wir – Kinder und Erwachsene gleichermaßen – aufhören, uns zu fragen: »Warum spreche ich mit einem Roboter?« und »Warum möchte ich,
dass dieser Roboter mich mag?«. Möglicherweise lassen wir uns einfach von seiner angenehmen Gesellschaft bezaubern.
    In den Achtziger- und Neunzigerjahren ging es bei der romantischen Reaktion vor allem um das, was nur Menschen füreinander zu leisten vermögen: gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, das auf dem gemeinsamen menschlichen Erleben beruht. Dem zugrunde lag der Gedanke, dass etwas Fundamentales den menschlichen Geist ausmacht. Anfang der Achtzigerjahre beschrieb der zwölfjährige David, der in der Schule Computerprogrammieren gelernt hatte, den Unterschied zwischen Menschen und Programmen folgendermaßen: »Wenn es irgendwann Computer gibt, die genauso klug sind wie Menschen, werden viele Arbeiten von Computern erledigt werden, aber es wird trotzdem Dinge geben, die Menschen übernehmen. Sie werden die Restaurants führen, die Speisen probieren, und sie werden diejenigen sein, die einander lieben und Familien gründen. Ich denke, sie werden die Einzigen sein, die zur Kirche gehen.« 15 Auch Erwachsene erwähnten das Leben in Familienverbänden. Für mich wurde die romantische Reaktion am besten eingefangen von der Art, wie ein Mann die Vorstellung abtat, sich einem Computer-Psychotherapeuten anzuvertrauen: »Wie kann ich denn mit etwas über Geschwister-Rivalität reden, das nie eine Mutter hatte?«
    Natürlich umgeben uns heute immer noch Elemente dieser romantischen Reaktion. Aber inzwischen

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