Verlorene Eier

Licht getaucht. Als Arthur einschläft, erzählt Amber mir, was vorgefallen ist. Sie beginnt mit der Wiederaufnahme von Phillys Verfahren, bei dem der Richter eine Erklärung abgab, die den Angeklagten Prozessbeobachtern zufolge zwischen einer viertel und einer halben Million Mäuse gekostet haben muss. Der Staatsanwaltschaft sei eine ganze Reihe verfahrenstechnischer Fehler unterlaufen, meinte er, aufgrund derer jede weitere Verfolgung des Falles »unverantwortlich« sei, und deshalb verlange er die umgehende Freilassung des Angeklagten. Philly, der sich einer sofortigen Wiederverhaftung entzog, indem er das Gerichtsgebäude ganz einfach durch einen Hinterausgang verließ, verschwand spurlos. Ein paar Tage später brachen ein oder mehrere Unbekannte zu nächtlicher Stunde in Ambers Haus in Sleepy Eye ein. Im Zuge der darauf folgenden Schießerei fing Agent Walsh sich zwar »eine Kugel im Arsch« ein – an dieser Stelle musste ich mir ein Lachen verkneifen –, doch zumindest verhalf er durch seinen Einsatz Amber und Arthur zu der Gelegenheit, aus dem Haus zu laufen, in den Wagen zu steigen und die ganze Nacht bis nach Minneapolis durchzufahren, wo sie in die erste Maschine nach New York stiegen. Von dort aus rief sie Agent Walsh auf seinem Handy an, der ihr vom Krankenhausbett erzählte, was vorgefallen war, worauf sie zwei Flugtickets nach London kaufte und auf den Abflug wartete.
    »Tja, jetzt sind Sie ja in Sicherheit, meine Liebe«, sage ich mit einer Zuversicht, die ich bei weitem nicht empfinde.
    »In Ihrer Nähe fühle ich mich immer sicher, Angela. Das war vom ersten Moment an so«, gibt sie zurück.
    »Vielleicht bin ich ja die Mutter, die Sie nie hatten.«
    »Nein. Meine Mutter ist quicklebendig und eine Nervensäge, wie sie im Buche steht.«
    »Dann vielleicht der Vater, den Sie nie hatten. Frauen können durchaus auch Vaterfiguren sein.« Das stimmt tatsächlich. Habe ich zumindest irgendwo gelesen.
    »Nein. Dad ist Zahnarzt in der Finger-Lakes-Gegend. Es liegt an dieser Ausstrahlung, die Sie haben, Angela. Man kann sie auch in Ihren Büchern spüren. Es ist etwas … das einen glauben lässt, dass am Ende alles gut wird.«
    Ich lasse die Worte eine Weile auf mich wirken, während die Midlands an uns vorbeiziehen. Was wir brauchen, ist ein Plan. Ich werfe einen Blick auf den schlummernden Satansbraten auf dem Rücksitz.
    »Eine Frage. Weiß Arthur über seinen Vater Bescheid?« Sie schüttelt den Kopf. Ich sehe sie mitfühlend an. »Was für ein Chaos, was?«
    »Allerdings.«
    Weston under Lizard. Telford. Shrewsbury. Als wir immer weiter durch die dunkle Landschaft Shropshires fahren, lässt Amber sich tiefer in die Ledersitze des Mercedes sinken. Wieder überkommt mich das Bedürfnis, meine Perücke abzunehmen und ihr meine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die mit den Worten Das ist eine sehr lange Geschichte beginnt. Wenn zwei Menschen sich wirklich lieben, sollte sie die ungeschminkte Wahrheit doch nicht gleich aus der Bahn werfen, oder?
    Ein tiefer Seufzer entfährt ihr. »Ich bin es so leid, immer nur davonzulaufen«, sagt Amber. »Ich bin es leid, immer nur Lügen zu hören. Nichts als Lügen. Verdammt, Angela, Sie sind der einzige ehrliche Mensch, den ich kenne.«
    13
    Als wir nach Eglwys Heath kommen, ist es beinahe Mitternacht. Die Lichter im Haus brennen, und ich stelle erschrocken fest, dass Daphne noch immer da sein muss. Im Kamin brennt nach wie vor ein Feuer, und sie hat sich offenkundig die Zeit vertrieben, indem sie sich durch meine Bücherregale gearbeitet und meine Hausbar geplündert hat. Falls sie sich an das Ende unserer Unterhaltung erinnern sollte – als sie sich in Spekulationen über eine mögliche Geschlechteranpassung meinerseits erging –, zeigt sie es zumindest nicht.
    »Ich bin Daphne Ottershaw«, sagt sie, als wir hereinkommen. »Und Sie sind ein extrem hübsches Ding. Zu meiner Zeit hätte man Sie als heißen Feger bezeichnet.«
    »Oh, vielen Dank«, gibt Amber zurück. »Allerdings haben wir eine ziemlich lange Reise hinter uns, und ich fühle mich wie gerädert.«
    »Daphne war gerade zu Besuch hier, als ich losgefahren bin«, erkläre ich. »Ist Eddy denn nicht wiedergekommen?«
    »Eddy hat sich den Rücken gezerrt, als er den Futtersack für den Hundewelpen gehoben hat, und hofft, dass er sich bis morgen früh ausreichend erholt hat, um wieder herzukommen.« Sie macht keine Anstalten, mir zu erklären, weshalb sich niemand anderes die Mühe gemacht