Verlorene Eier
falls du Interesse hast. Saufen für einen guten Zweck, das ist unser Motto.«
Caerwen sammelt Geld, um ein krankes Mädchen nach Amerika schicken zu können, wo es operiert werden soll. Als sie mir das erste Mal von der »kleinen Bethany, Gott segne das arme Würmchen« erzählte, dachte ich, es handelt sich um eine Nichte oder Cousine oder so. Doch das Mädchen mit der seltenen Knochenerkrankung ist die Tochter einer Frau aus Caerwens Karatekurs.
»Die Mutter ist völlig verzweifelt«, meinte sie. »Karate ist das Einzige, was ihr noch hilft, nicht völlig den Verstand zu verlieren.«
Und auf meine behutsame Nachfrage, weshalb ausgerechnet sie das Sammeln von Spendengeldern übernommen hatte, antwortete sie: »Das sagen alle. Aber Dilys – so heißt die Mutter der kleinen Bethany – ist schlicht und einfach unfähig, etwas Derartiges auf die Beine zu stellen. Und da frage ich mich, wieso das arme Ding, Gott möge sie segnen, leiden muss, nur weil ihre Mutter nicht in der Lage ist, mit anderen Menschen klarzukommen.«
Die willkürliche Grausamkeit, die himmelschreiende Ungerechtigkeit auf der Welt sind es, die Caerwen so erschüttern. Und da sie – zumindest laut eigener Aussage – »keine Wohltäterin, sondern einfach jemand, der etwas tut«, ist, hat sie sich bereit erklärt, die zehntausend Pfund aufzutreiben, die notwendig sind, damit Bethany und ihre Mutter in eine Spezialklinik nach Maryland fliegen können.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge wird dieses Ziel erst erreicht werden, nachdem wir alle längst tot und begraben sind. Doch Caerwens Entschlossenheit – manche mögen es sogar als aufrichtige Dummheit bezeichnen – angesichts der frappierend hoffnungslosen Situation berührt mich zutiefst. Insgeheim habe ich mir vorgenommen, die Summe aufzustocken, sobald der erste Teil meines Vorschusses auf meinem Konto ist.
»Es ist wirklich schön, euch zu sehen«, sage ich und hebe mein Bierglas.
Und ich meine es auch so. Ich freue mich aufrichtig, das Trio – die beiden sauertöpfischen Brüder und ihre abwechselnde Gespielin – wiederzusehen.
»Und wir freuen uns, dich zu sehen«, erwidert Caerwen.
Jago mustert neugierig meine Hand mit dem Bierglas. Ich folge seinem Blick. Sie sieht so völlig normal aus. Erst nach ein paar Sekunden entdecke ich einen Rest roten Nagellack auf dem Zeigefinger, den ich übersehen haben muss. Aber das kann ihm doch unmöglich aufgefallen sein, oder?
2
Ich sitze im Zug nach London. Neben mir stehen zwei Koffer, einer für Angela, einer für mich. Von Nervosität keine Spur.
Ebenso wenig in Heathrow, wo ich ein paar Minuten auf meinen Agenten warten muss. Durch die Glastüren beobachte ich, wie Geralds Wagen vorfährt und eine atemberaubende Blondine auf der Fahrerseite aussteigt. Ihr Haar flattert in der Brise, als sie die Beifahrertür öffnet. Eine liebevolle Umarmung, dann braust sie davon.
»Wer war denn diese heiße Puppe?«, frage ich, als er vor mir steht. Jedenfalls nicht Mrs Gerald, so viel steht fest.
Ich habe keine Ahnung, wie ich ausgerechnet auf diese Bezeichnung kam – seit den Sechzigern hat wohl kein Mensch mehr den Begriff »heiße Puppe« in den Mund genommen, ohne ironisch sein zu wollen. »Das war Charley. Charlotte. Meine älteste Tochter«, antwortet Gerald. Ich würde vor Scham am liebsten im Boden versinken.
Die typische Taktlosigkeit des kinderlosen Mannes, des ewigen Singles, erhellt vom gleißenden Schein der Neonlampen in Terminal vier – treffender könnte die gähnende Leere meines jämmerlichen kleinen Lebens nicht inszeniert werden.
»Und? Bereit, die Jungs von den Socken zu hauen, Miss Huxtable?«, durchbricht Gerald die peinliche Stille und verpasst mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Ich hoffe, während der Reise ein wenig mehr über meinen Agenten zu erfahren, von dem ich nicht mehr als ein paar Eckdaten kenne: Er hat seine Karriere im Verlagswesen begonnen, hegt eine geheime Liebe für die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts und vertritt eine bunte Mischung an Klienten, unter anderem einen Walexperten ( Wer den Wal hat, hat die Qual und die Fortsetzung Walhalla liegt am Meeresstrand ); den Autor, dessen Krimis allesamt in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde von Stamford Hill spielen ( Mord nach dem Talmud und Chassidic Park ); den SF -Humoristen, dessen literarisches Werk in einem Universum angesiedelt ist, das sich nur wenige Zentimeter von unserem eigenen und doch in einer völlig anderen
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