Verlorene Eier
das ich bereits hundertfach mit irgendwelchen Ladenbesitzern auf der Marylebone High Street geübt habe. Trotzdem schlägt mir das Herz bis zum Hals, und der Lachs, der sich mittlerweile in meiner Magengrube häuslich eingerichtet hat, hüpft und zappelt wie verrückt, als ich mit – wie ich hoffe – völlig entspannter Miene auf die Conciergeloge zusteuere.
»Einen schönen guten Tag«, höre ich mich sagen. (Wer um alles in der Welt drückt sich heute noch so aus?) »Ich glaube, hier ist ein Zimmer für mich reserviert.« Meine Stimme zittert ein klein wenig, aber der junge Mann – Darren, wie mir sein Namensschild verrät – zeigt weder mit dem Finger auf mich noch bricht er in schallendes Gelächter aus oder greift zum Telefon, um die Polizei zu rufen. »Auf den Namen Angela Huxtable. Miss Angela Huxtable«, füge ich eilig hinzu.
Wirft Darren mir einen argwöhnischen Blick zu, bevor er meinen Namen in die Tasten hämmert? Es folgt die gewohnte Stille.
»Hier haben wir Sie ja«, meint er dann. Der Lachs legt eine Volldrehung hin. »Der andere Herr hat Sie bereits eingecheckt.«
Der andere Herr?
»Zimmer 528 ist schon für Sie vorbereitet. Hier ist Ihre Zimmerkarte. Sollten Sie etwas benötigen, lassen Sie es uns bitte jederzeit wissen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt bei uns, Miss Huxtable. Miguel hilft Ihnen mit dem Gepäck.«
Ein Page steht plötzlich neben mir und nimmt meinen Koffer. Seine verblüffte Miene verrät mir, dass er gerade gemerkt hat, wie leicht er ist. Natürlich ist er leer, weil ich vor wenigen Minuten Angelas Sachen auf Geralds Bett ausgekippt habe. Miguels braune Augen richten sich fragend auf mich. Dies ist mein erster Fehler, und ich spüre, wie sich unter der Perücke Schweißperlen bilden. Bevor ich etwas wie »Kein Problem, ich kann meinen Koffer selbst nehmen« sagen kann, hat er sich umgedreht und steuert auf die Aufzüge zu, so dass mir nichts anderes übrig bleibt, als ihm zu folgen und mich im Geiste für meine Dämlichkeit zu ohrfeigen.
Wortlos fahren wir in den fünften Stock und gehen den Korridor entlang bis zu meinem Zimmer, wo Miguel demonstriert, wie die Schlüsselkarte funktioniert. Wir betreten das Zimmer, wo Miguel (mit völlig übertriebenem Schwung) meinen Koffer auf das mit breiten Leinenstreifen bespannte Metallgestell wuchtet, während ich in meiner Handtasche nach Trinkgeld krame.
Die kleinste Banknote, die ich finde, ist ein Fünfer, doch ich bin viel zu verlegen, um Wechselgeld von ihm zu verlangen.
Er bedankt sich und wendet sich zum Gehen. Ist das ein Zwinkern oder nur ein nervöses Zucken an seinem Auge?
5
Ich sitze vor der Frisierkommode und betrachte lange Zeit mein Spiegelbild. Ich habe es zwar nicht gleich bei der ersten Gelegenheit vermasselt, aber es war nahe dran. Was könnte verdächtiger sein als eine alte Frau, die mit einem leeren Koffer in einem Hotel eincheckt?
Kommen wir ernsthaft mit dieser Charade durch?, frage ich mich.
Sag du es mir , antwortet eine leise Stimme in meinem Kopf. Es ist doch dein Auftritt.
Es muss klappen.
Tja, immerhin gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die von uns abhängig sind.
Kommst du dir blöd vor?
Nein. Eigentlich nicht. Es geht mir gut. Du bist wohl derjenige, der sich blöd vorkommt.
Bist du ich, aber irgendwie auch doch wieder nicht, wie Gerald es ausgedrückt hat?
Als ich noch klein war, habe ich immer zu meinem Vater gesagt: »Ich bin ich, und du bist du.« Und er hat gesagt: »Nein, das stimmt nicht. Ich bin ich, und du bist du.«
Wie seltsam, dass mir das ausgerechnet jetzt einfällt.
Alles in Ordnung mit dir, Bill?
Keine Ahnung. Was ist mit dir? Fühlst du dich wie eine richtige Frau?
Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich nicht.
Was du nicht verhindern kannst, kannst du ebenso gut mit offenen Armen willkommen heißen, sagt man immer so schön.
Daran habe ich noch nie geglaubt.
Ich auch nicht.
Na, dann viel Glück.
Danke. Gleichfalls.
6
Beim Abendessen – wieder als Bill – erzähle ich Gerald von meinem Patzer mit dem Koffer.
»Ich muss wohl etwas vorsichtiger sein, oder?«
»Wir werden alle etwas achtsamer sein müssen.«
Wir sitzen in einem chinesischen Restaurant im East Village, das eher schlicht ist, aber zu Geralds Favoriten zählt. Morgen steht uns ein wichtiger Tag bevor, deshalb haben wir beschlossen, bei einem leichten Essen noch einmal unsere Taktik zu besprechen.
»Erklär mir noch mal diese Sache mit Daphne. Ich kann es mir einfach
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