Verlorene Eier
Kälberverschlag, besitzt jedoch keine Außenfenster. Bis auf ein kleines gerahmtes Foto ist ihr Schreibtisch leer.
»Tja«, sagt sie, als wir uns gesetzt haben, »Ihr Foto wird Ihnen jedenfalls nicht im Mindesten gerecht.«
Wieder breitet sich dieses gemächliche Lächeln auf ihrem Gesicht aus, während in meinem Kopf ein leises Läuten ertönt, das ich als das ferne Schrillen von Alarmglocken werte. Bei erwähntem Foto handelt es sich um eines von Keiths Polaroids, das Gerald vor unserer Abreise hergeschickt hat.
»Im wahren Leben sehen Sie viel … interessanter aus, wenn ich das so sagen darf.«
Scheiße. Ist sie mir auf die Schliche gekommen? Sie wirft mir einen Blick zu, den man durchaus als wissend bezeichnen könnte.
»Ich denke, wir sollten ein paar neue Fotos machen lassen«, fährt sie fort. »Welche, auf denen Ihre versteckten Qualitäten zum Vorschein kommen.«
Meine versteckten Qualitäten? Will sie damit sagen, dass sie die Große Lüge entlarvt hat? Mein Rücken ist klatschnass. George beginnt, mir die PR -Kampagne mit ihrer qualvollen Aneinanderreihung von Abendessen, Lesungen und Interviews in verschiedenen Städten zu erläutern.
»Ich hoffe nur, ich schaffe das«, winsele ich. »Ich habe so etwas noch nie gemacht.«
»Oh, Sie machen das bestimmt ganz wunderbar. Alle freuen sich schon so darauf, Sie kennenzulernen.«
Inzwischen wirkt sie ein klein wenig milder. Ihre grauen Augen ruhen auf mir, und unwillkürlich spüre ich, wie sich etwas in meinem Innern regt. Diese Georgina ist eine attraktive junge Frau. Okay, der Haarschnitt ist ein klein wenig gewöhnungsbedürftig – eines der Modelle, die aussehen, als wären sie mit der Axt geschlagen –, und ihr dunkelgrauer Hosenanzug ist … nun ja … ziemlich streng. Doch insgesamt verströmt sie eine Aura der Intelligenz und beherrschten Weiblichkeit. Wäre ich ein Mann – besser gesagt, könnte ich in diesem Moment wie ein richtiger Mann funktionieren –, könnte ich glatt in Versuchung geraten, mir zu überlegen, wie man diese Beherrschung ein wenig lockern könnte.
»Wissen Sie«, meint sie, »Sie erinnern mich an irgendjemanden.«
»Tatsächlich, meine Liebe? An wen denn?«
»Das weiß ich nicht. Aber wir verbringen ja ein wenig Zeit zusammen. Ich komme schon noch drauf.«
Ich erhebe mich. Einen Moment lang stehen wir uns gegenüber, nur getrennt von ihrem Schreibtisch. In ihrem Blick liegt eine Intensität, die ich beunruhigend und aufregend zugleich finde. Ich sehe ihr so gebannt in die Augen, dass ich um ein Haar vergesse, meinen Rock glattzustreichen.
»Nun, meine Liebe. Dann bis bald.« Wir schütteln einander die Hände. Hält sie meine Hand eine Spur länger fest als allgemein branchenüblich?
»Heute Abend.«
»Ah. Ja. Heute Abend. Die Lesung. In der Buchhandlung.«
Gerald klopft gegen die Glasscheibe und tippt übertrieben demonstrativ auf seine Uhr.
»Es war sehr nett, Sie kennenzulernen, George.«
»Ganz meinerseits, Angela. Sie sind wirklich cool.« Sie hebt zwei Finger zum Siegeszeichen. »Love and peace, Mann!«, sagt sie.
12
Wir fahren mit dem überfüllten Aufzug nach unten. Ich bringe es nicht über mich, Gerald in die Augen zu sehen. Erst als wir auf dem Broadway stehen und uns auf den Weg zum Hotel machen, bricht er sein Schweigen.
»Tja, ich habe das Gefühl, das lief ziemlich gut, Bill.« Ein kleines Lächeln spielt um seinen Mund. »Ich würde sogar so weit gehen und sagen – natürlich mit den üblichen Vorbehalten, dass es noch sehr früh ist und wir nicht vorschnell und so weiter und so weiter … aber ich glaube, wir haben es geschafft. Und wenn du erlaubst …«
Und dann tut Gerald etwas sehr Ungewöhnliches (zumindest für ihn). Er springt in die Luft und schlägt mit der Routine eines Profitänzers die Hacken zusammen. Ich glaube mich zu erinnern, so etwas einmal bei Tschitti Tschitti Bäng Bäng (es war Old Bamboo, um genau zu sein) gesehen zu haben. Als er wieder sicher gelandet ist, geht er weiter, als wäre nichts geschehen.
Auch ich habe das Bedürfnis, zu singen und zu tanzen (in meinem Fall vielleicht etwas aus Mary Poppins ), doch das leise Unbehagen nach meinem Gespräch mit George trübt meine Freude ein wenig.
»Diese PR -Frau war irgendwie seltsam. Ich habe das Gefühl, sie könnte Lunte gerochen haben.«
»Lunte?«
»Sie hat ›Love and Peace, Mann!‹ zu mir gesagt.«
»Das ist doch nur so eine Redensart. Du warst extrem überzeugend.«
»Aber es gab auch noch
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