Verlorene Eier
ein paar andere Sachen. Sie meinte, mein Foto werde mir nicht gerecht.«
»Tut es ja auch nicht. Im wahren Leben bist du viel unattraktiver. Oh, Entschuldigung … habe ich gerade unattraktiver gesagt? Ich habe natürlich attraktiver gemeint.«
»Worüber hast du mit Spavik geredet?«
»Er fand dich fantastisch. Sehr charmant. Das waren seine exakten Worte.«
»Aber ich habe doch kaum etwas gesagt!«
»Er war restlos begeistert von deinem Stil. Du strahlst britische Klasse aus, meinte er.«
»Was für ein Idiot.«
»Bill, dieser Idiot, wie du ihn bezeichnest, ist derzeit einer der erfolgreichsten Verleger der Vereinigten Staaten. Es wird eben nicht jeder mit ihm warm, weil er ein Zahlenmensch ist. Aber er hat das Bücherverkaufen zur Wissenschaft erhoben, was, ob es dir nun gefällt oder nicht …«
Den Rest von Geralds Vortrag bekomme ich leider nicht mit, da genau in dieser Sekunde etwas heftig an meinem Bein zerrt und mich nicht mehr loslassen will. Gerald geht unbeirrt weiter, während ich wild zu rudern beginne, um mich auf den Beinen zu halten. Als ich das Gleichgewicht endlich wiedergefunden habe, sehe ich, dass mein Absatz in einer Art Gitter auf dem Bürgersteig hängt.
Ich ziehe. Er steckt fest.
»Äh … Gerald.« Meine Rufe gehen im Straßenlärm von Midtown unter.
Eine kleine Menschentraube hat sich um mich gebildet – ein feister Koreaner in Cargo-Shorts und einem potthässlichen T-Shirt; ein Fahrradkurier mit Bandana-Kopftuch, der stehen geblieben ist, um das Drama zu verfolgen, und ein uraltes Ehepaar in Trenchcoats und Turnschuhen, das ebenfalls eine Pause in seinem geschäftigen Tag einlegt, um zu sehen, wie das Ganze ausgeht. Währenddessen zerre und ziehe ich, aber es gelingt mir nicht, meinen Absatz freizubekommen. Ich spüre, wie mir der Schweiß in der mittäglichen Großstadthitze ausbricht und übers Gesicht rinnt.
»Sie sollten die Stadt verklagen«, rät mir die alte Frau hilfreicherweise.
Der Koreaner ist mir zu Hilfe geeilt und beginnt, beherzt an meinem Absatz zu zerren. Einige Meter entfernt ist Gerald endlich aufgefallen, dass ich nicht mehr neben ihm bin.
Er kommt angetrabt. »Angela, Liebling«, ruft er laut. »Was ist denn passiert?«
»Mein Absatz steckt fest, Gerald. Schatz .«
Der Blick meines Agenten fällt auf meinen Fuß. Er zieht die Nase kraus und beißt sich auf die Unterlippe – wie die meisten Leute, wenn sie Mühe haben, nicht ungeniert loszuprusten. Doch dann wird er plötzlich aktiv, schiebt den Koreaner zur Seite und beginnt mit aller Kraft zu ziehen.
»Ich denke, du solltest den Stiefel ausziehen«, sagt er.
Ich ziehe den Reißverschluss herunter. Mein Publikum schnappt hörbar nach Luft, als ich den Fuß aus dem Stiefel nehme und die dicke weiße Sportsocke mit einem großen Loch zum Vorschein kommt, aus dem eine unübersehbar große Männerzehe mit einem hässlichen vergilbten Fußnagel ragt. Ich habe keine Ahnung, ob sie schockiert oder nur verlegen sind. Jedenfalls wenden sie sich ab und gehen eiligst ihrer Wege, während der Fahrradkurier sich wieder auf seinen Drahtesel schwingt und mit einem lauten, triumphierenden »So was gibt’s nur in New York!« im dichten Verkehr abtaucht.
Gerald gelingt es irgendwie, meinen Stiefel aus dem Gitterrost zu befreien. Er kniet vor mir, so dass ich mich auf seiner Schulter abstützen und wieder hineinschlüpfen kann.
»Meinst du, jemand hat etwas gemerkt?«, frage ich mit meiner normalen Stimme.
13
Eighth Avenue Books in Chelsea ist eine kleine inhabergeführte Buchhandlung, die nach modernen Marktgesetzen längst aufgekauft und untergegangen sein sollte. Aber aus irgendeinem Grund hält der David unter den Buchhandlungen im Kampf gegen die Goliaths mit ihren Kampfpreisen wacker die Stellung und ist dank der Leidenschaft der Besitzerin und der unerschütterlichen Treue der Kunden eine Art Oase des altmodischen Bücherverkaufens. An den Regalen kleben kleine handgeschriebene Aufkleber, die in knappen Worten die Einschätzung der Inhaberin, Dorothea Burns, widerspiegeln. (»Wer hätte gedacht, dass eine in Wisconsin angesiedelte Familiensaga so bezaubernd und spannend sein könnte?«) Neben konventioneller Belletristik und diversen Sachbuchrubriken verfügt Eighth Avenue Books auch über eine breite Auswahl an Liebesromanen. Aus diesem Grund wurde diese Buchhandlung als Startpunkt für Angela Huxtables erste (und einzige) Lesereise ausgewählt.
Es schüttet wie aus Eimern, als wir ankommen.
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