Verlorene Eier
Mehrere Dutzend Klappstühle wurden aufgestellt, und der eher knapp bemessene Verkaufsraum hat sich bereits beachtlich gefüllt. Gerald und ich müssen uns an etlichen Besuchern – scheinbar allesamt Angelas Fans – vorbeischieben, die keinen der begehrten Sitzplätze mehr ergattern konnten und stehen müssen.
Die ehrwürdige Dorothea Burns tritt ans Rednerpult: »Guten Abend, meine Damen und … nun, ich wollte eigentlich Herren sagen, doch wie ich sehe, sind fast ausschließlich Damen hier.« Höfliches Lachen kommt auf. Georgina Steinitz lehnt sich gegen das »Politik und Gesellschaft«-Regal und zwinkert mir ironisch zu.
Ich lasse den Blick über die Angela-Huxtable-Leserschaft schweifen – es ist das erste Mal, dass ich welche zu Gesicht bekomme. Wie erwähnt besteht sie aus Frauen, einige davon in den Zwanzigern, die Mehrzahl jedoch in den Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern, dazu einige noch Ältere. Plus ein kleiner Junge mit seiner Mutter. Voller Dankbarkeit stelle ich fest, dass die Frauen – entgegen meiner Vorstellung, dass nur verzweifelte Trauerklöße jenseits von Gut und Böse zu meinen Büchern greifen – allesamt recht vergnügt und aufgeweckt wirken. Sie sehen keineswegs aus, als ob sie ein erbärmliches Dasein in einer Wohnwagensiedlung fristen, sich mit Familienpackungen M&Ms vollstopfen oder sonst größere Probleme haben. Offenbar können nicht nur Leser ein völlig verschobenes Bild von einem Autor haben, sondern auch umgekehrt. Alles in allem machen sie einen sehr netten und keineswegs unintelligenten Eindruck. Mit einem Wort: völlig normal. Einige lächeln. Sie sind … schluck … sichtlich begeistert, mich zu sehen.
Und nun applaudieren sie auch noch, als ich zum Podium trete, wo Dorothy mich mit einem flüchtigen Kuss auf beide Wangen begrüßt, ehe sie mir das Feld überlässt. Ich lege mein Buch auf das Pult, streiche mir eine Perückensträhne aus dem Gesicht, hole tief Luft und beginne in meiner Angela-Huxtable-Stimme – nicht vergessen: Betonung durch Tonhöhe statt durch Lautstärke – mit dem ersten Kapitel von Sündige Leidenschaft , das ich in den nächsten Tagen promoten soll.
»Camilla Trebolter hatte noch nie hinterm Steuer eines Wagens gesessen, ganz zu schweigen von einem Traktor. Doch es herrschte Krieg, und jeder in Little Harding musste seinen Teil dazu beitragen …«
Ich bin nervös. Mein Herz hämmert, und es dauert eine ganze Weile, bis ich den richtigen Rhythmus gefunden habe. Aber dann kommt der magische Augenblick. Stille senkt sich über den Raum, die Atemzüge der Zuhörerinnen werden ruhiger, als die Geschichte – selbst wenn sie noch so absehbar ist – sie in ihren Bann schlägt. Es ist genau dieselbe Wirkung wie bei den Kälbern bei der Probelesung hinterm Haus in Eglwys.
Ich erspare Ihnen die Details. Nur so viel: Ich habe mich mit meiner Geschichte sklavisch an das vielfach erprobte und bewährte Rezept von dreihundert Seiten gehalten, die in einer wilden (wenn auch angemessen umschriebenen) Vögelei auf Group Captain Edgar Duprees heldenhaft getragenem Royal-Air-Force-Mantel gipfelt. Mitten in einem Maisfeld. In einem heftigen Gewittersturm. Am letzten Tag der Luftschlacht um England. (Angelas Fans wissen, was sie erwarten können.)
»… in diesem Moment richtete Camilla Trebolter ihre großen kornblumenblauen Augen zum allerersten Mal auf die düsteren Züge des neuen Herrn von Hardings Hall, Edgar Wellington Dupree.«
Schließlich schlage ich das Buch zu – praktischerweise wurde ein ansehnlicher Stapel neben mir aufgebaut, den ich später signieren kann –, während neuerlich Beifall aufbraust, länger und lauter diesmal. Ich lächle und bemühe mich, tiefe Dankbarkeit zu signalisieren. Ich ertappe mich bei diesem typischen Queen-Winken, mit völlig unnatürlich angewinkeltem Handgelenk, als wollte ich ein Gurkenglas öffnen. Ich sehe meinem Publikum in die Augen und erkenne … nun ja, wäre ich nicht so ein hässliches altes Weib, würde ich es tatsächlich als Liebe bezeichnen, was mir entgegenschlägt. Ein dicker Kloß bildet sich in meiner Kehle. Angela Huxtable ist ein schamloser Betrüger, ein Mann mit Hühnerfilets im BH , und doch akzeptieren sie ihre Leser so, wie sie ist.
»Vielleicht sollte ich den Anfang machen«, erklärt Dorothea Burns, als die Fragerunde beginnt. »Ihr historischer Hintergrund ist oft sehr faszinierend. Wie betreiben Sie Ihre Recherchen?«
»Danke, Dorothea. Und bevor ich Ihre
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