Verlorene Eier
Nora Downes mitnehmen, ohne all diesen offiziellen Schnickschnack. Stehen Sie auf Whiskey Sour, chinesisches Essen und Jazz?«
»Das hört sich sehr nett an, Nora.«
»Ist es auch. Und? Sind Sie bereit, die neue Daphne Ottershaw zu werden?«
»Nun, natürlich ist es eine unglaubliche Ehre, im selben Atemzug wie …«
»Blödsinn. Daphne ist ein vertrockneter alter Sturschädel mit wenig Talent und viel Tamtam. Ich könnte Ihnen Sachen erzählen …«
Und ohne ein Wort der Ermutigung gibt sie eine Reihe von zunehmend skandalösen Geschichten über die auf dem absteigenden Ast befindliche Königin der historischen Liebesromane zum Besten – inklusive schillernder Einzelheiten über blutjunge männliche Sekretäre in ihren Diensten, allerlei sexuelle Ausrutscher und ihre Neigung zu erotischen Praktiken, von denen ich immer dachte, dass kein Mensch sie jemals in Wirklichkeit anwendet.
»In den Fünfzigern hat sie ein Jahr in Paris gelebt.« Bedeutungsschwangere Pause. »Als Mann.«
Um mein Entsetzen zu verbergen, packe ich reflexartig die Flasche Sauvignon Blanc, wobei ich beinahe von meinem Stuhl aufspringe, und schenke mir ein. Als ich mein Glas an die Lippen hebe, fällt mir auf, dass meine Hand zittert. Nur ein Mann ist zu einer so ungestümen, uneleganten Bewegung imstande. Ich sehe, dass Gerald am anderen Ende der Tafel die Brauen hochgezogen hat. All das Gefasel über Angelas Bemühungen um eine korrekte Körperhaltung, Balance und sorgsam gewahrte Beherrschung ist völliger Schwachsinn – beim geringsten Anlass löst sich die sorgsam geprobte Miss-Angela-Huxtable-Fassade in Luft auf. Aber Nora, Gott möge diese Frau segnen, ist offenbar immun gegen jede Form von Subtilitäten. Sie kippt den Inhalt ihres eigenen Glases hinunter und schwenkt es demonstrativ in meine Richtung, was mir Gelegenheit gibt, mich ein wenig zu fangen.
»Gütiger Himmel«, wimmere ich. »Weshalb denn das?«
»Um sich in ihre glutäugigen Verführer hineinversetzen zu können. Zumindest ist das die offizielle Erklärung. Aber vielleicht war das auch nur dummes Geschwafel.«
»Meine Güte, ich bin offenbar sehr altmodisch. Ich dachte immer, das A und O bei der Sache sei, sich so etwas auszudenken.«
Zum Dessert müssen alle Anwesenden bis auf den Ehrengast, also ich, die Plätze tauschen – wie ich so etwas hasse –, so dass ich nun zwischen Georgina und dem Verkaufsleiter sitze.
Besagter Verkaufsleiter sieht aus, als hätte er gerade seinen zwölften Geburtstag gefeiert. Ich muss mich beherrschen, ihn nicht zu fragen, wann die Schule morgen früh anfängt. Aber alles in allem ist er ein recht netter Bursche, der ähnlich großes Interesse an mir hat wie ich an ihm – nämlich so gut wie gar keines.
»Das ganze Team ist ja so begeistert, für Sie zu arbeiten«, erklärt er wenig überzeugend.
Gerald, der ein paar Plätze neben mir sitzt, bemüht sich, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Angela, hast du schon mal Moby Dick gelesen?«, will er aus heiterem Himmel wissen und sieht mich dabei so komisch an.
»Ja, habe ich«, antworte ich wahrheitsgetreu. »Ich finde, es ist ein wunderbares Buch. Warum fragst du?«
»Ich versuche mich gerade zu erinnern, ob darin eine Figur namens Rock vorkommt?«
»Rock? Ich glaube nicht. Ahab. Ishmael. Starbuck. Queequeg. An einen Rock kann ich mich nicht erinnern.«
»Also keine Figur namens Rock, ja?«, bohrt Gerald beharrlich weiter. Mir fällt auf, dass seine Augen merkwürdig umherirren, und ich frage mich, ob er zu viel getrunken hat.
Und dann fällt der Groschen. Der Alarmcode. Eigentlich war er doch für mich gedacht, falls ich aus irgendeinem Grund in Panik gerate. Gerald muss wegen irgendetwas Panik bekommen haben. Aber weshalb? Alles sieht wunderbar und völlig normal aus … bis ich etwas Grün-Rotes aufblitzen sehe. In einer Region meines Körpers, die normalerweise schwarz sein sollte. Genauer gesagt, an meinem adretten Business-Rock von Marks & Spencer, dessen Bund von – für Männerfinger viel zu – winzigen Haken zusammengehalten wird. Zu meinem Entsetzen stelle ich fest, dass sich Haken und Öse gelöst haben und der Reißverschluss weit genug offen steht, um den Blick auf meine rot-grünen, mit historischen Pub-Schildern bedruckten Boxershorts freizugeben. Meine kastenförmige Jacke ist zur Seite gerutscht, so dass jeder, der in einem bestimmten Winkel hinter mir steht, ungeniert meine Unterhose sehen kann – beispielsweise ein vorbeikommender
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