Verlorene Eier
freue, Sie kennenlernen zu dürfen. Zuerst durch Ihre Bücher, die mir das Leben gerettet haben, als ich keine allzu großen Hoffnungen mehr hatte, je wieder eines zu führen. Und dann das unglaubliche Privileg, den Menschen im wahren Leben kennenzulernen, der sie geschrieben hat.«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, meine Liebe. Ich bin ein bisschen verlegen. Schließlich bin ich keine hochtalentierte Autorin oder so …«
»Doch, genau das sind Sie. Was Sie tun, ist reine Magie. Wenn Sie mich mit Ihren Büchern verzaubern, habe ich das Gefühl, dass es noch Hoffnung für mich gibt, auch wenn das jetzt blöd klingen mag.«
Ihre Worte rühren mich zutiefst, und ich weiß genau, dass meine Stimme viel zu tief klingen wird, wenn ich jetzt etwas sage, also lege ich nur meine Finger auf ihre Hand und drücke sie behutsam. Eine Zeitlang sitzen wir schweigend da.
»Lust auf eine neue Runde Jack Daniel’s? Immerhin wurden wir heute Abend um ein Haar ausgeraubt.«
Sie kehrt mit einem weiteren Tablett Seelentröster von der Bar zurück.
»Diese Burschen, die vorhin auf uns losgegangen sind«, sagt sie, nachdem wir angestoßen haben. »Ihre Gesichter, als ich die Knarre gezogen habe! Sie haben ausgesehen, als würden sie sich gleich in die Hose machen!«
»Sie waren sehr tapfer, meine Liebe.«
»Und was Sie gesagt haben, Angela!«
»Ah.« Sie hatte es also mitbekommen.
Sie mimt die Schockierte und zitiert in aufgesetzt-britischem Akzent. »Was … verdammte Scheiße noch mal war das denn … äh, meine Liebe?«
»Bitte entschuldigen Sie die Ausdrucksweise.«
»Machen Sie Witze? Das war der absolute Wahnsinn!«
»Mir hat dieser Teil am besten gefallen«, erkläre ich und zitiere mit einem leichten Hüsteln. » Los, bewegt eure mageren Ärsche . Dort, wo ich herkomme, ist das ein Kompliment.«
»Angela, eines habe ich völlig vergessen. Noch ein Geständnis.«
Aha. Was kommt jetzt? Hat sie gemerkt, dass ich ein Mann bin? Ist sie ein Mann? Mittlerweile befinde ich mich an einem Punkt, an dem ich mit allem rechne.
»Ich habe meinen Namen gar nicht meinen Augen zu verdanken.«
»Nein?«
»Babys haben blaue Augen.«
»Stimmt. Natürlich.«
»Ich fand nur immer, dass ich eigentlich Amber heißen sollte.«
»Verstehe.«
»Mein echter Name ist Lesley.« Sie spricht es Less- Liie aus. »Lesley Ambrosine Glatt. So. Jetzt wissen Sie alles über mich.«
3
Der Name Lonesome Tiny entpuppt sich als blanke Ironie. Der Sänger ist ein schwer übergewichtiger Schwarzer, dessen kraftvolle, satte Stimme das perfekte Medium ist, um das tiefe Seelenleid eines Mannes zu transportieren. Amber zieht ihren Stuhl neben mich, um einen besseren Blick auf die Bühne zu haben. Beim dritten Song ruht ihr Kopf an meiner Schulter, und ihr schlanker Knöchel bewegt sich im Takt der Musik.
Ist das Leben nicht komisch? Als ich dort sitze und dem Fettsack auf der Bühne lausche, der davon erzählt, wie beschissen es in letzter Zeit läuft (seine Frau hat ihn offenbar im Stich gelassen, und auch sonst ist alles … ), spüre ich, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit glücklich bin.
4
Amber bringt mich zum Hotel zurück, wo wir lange Zeit wortlos in der Dunkelheit sitzen und einander ansehen.
»Tja, dann gute Nacht, meine Liebe. Danke für einen wirklich ereignisreichen Abend.«
»Gute Nacht, Angela. Es war echt super mit Ihnen. Selbst die Nummer mit diesen beiden Typen.«
Sie zögert kurz, dann beugt sie sich herüber und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Als sie zurückweicht, liegt ein eigentümlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. Hat sie etwa ein paar widerspenstige Bartstoppeln gespürt? Oder ist ihr eine Wolke männlicher Pheromone in die Nase gestiegen, die ihre Sinne benebelt?
5
Und? Netten Abend gehabt?
Wunderbar. Danke der Nachfrage.
Ich sitze wieder vor der Frisierkommode und stehe im Begriff, mich von Angela zu befreien und ins Bett zu fallen. Auf dem Gesicht der Schnulzenschreiberin liegt ein säuerlicher Ausdruck.
Wo soll all das hinführen, Bill?
Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es sich gut anfühlt. Sie ist ein tolles Mädchen.
Und was für eine Geschichte, was? Hast du sie ihr abgekauft?
Klar.
Ich erinnere mich, dass du ihr die erste auch geglaubt hast. Dass sie das Kind an dem Morgen gezeugt haben, als der Vater ins Krankenhaus musste und auf dem OP-Tisch verstarb.
Es können ja wohl kaum beide »Mist« sein.
Nein?
Diese hier ist ja nicht gerade schmeichelhaft. Ein
Weitere Kostenlose Bücher