Verlorene Liebe
der geeignetste Moment, um an seiner Reaktion zu erkennen, wie er darüber dachte. »Glaubst du, nun ja, ist dir je in den Sinn gekommen, daß Jerald bestimmte Versuche durchführen könnte?«
»Womit?«
»Mit Rauschgift.«
Es kam nicht oft vor, daß Hayden von einer Frage völlig aus der Bahn geworfen wurde. Aber jetzt konnte er sie nur anstarren und erst nach einem längeren Moment seine Sprache wiederfinden. »Aber das ist doch absurd. Jerald war einer der ersten, der sich in seiner Schule der Anti-Drogen-Kampagne angeschlossen hat. Er hat sogar ein Papier über die Gefahren und Langzeitwirkungen von Rauschgift verfaßt.«
»Das weiß ich, und vermutlich ist meine Angst auch absolut lächerlich.« Doch sie mußte Gewißheit haben. »Er ist mir nur in den letzten Wochen so rätselhaft vorgekommen. Entweder schließt er sich in seinem Zimmer ein, oder er verbringt ganze Abende in der Bibliothek. Charlton, ist dir eigentlich bewußt, daß unser Sohn keine Freunde hat? Nie ruft jemand für ihn an, und niemand kommt ihn je besuchen. Erst vor ein paar Tagen hat er Janet wütend angefahren, weil sie seine schmutzige Wäsche einsammeln wollte.«
»Du weißt doch, wie viel Wert er auf seine Privatsphäre legt. Wir haben diesen Wunsch stets respektiert.«
»Ja, aber manchmal denke ich, wir haben des Guten ein wenig zuviel getan.«
»Möchtest du, daß ich ihn einmal zur Rede stelle?«
»Nein.« Claire schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich komme mir so dumm vor. Liegt nur am Streß. Du weißt doch, wie sehr Jerald sich in sich zurückzieht, wenn du ihm eine Standpauke hältst.«
»Um Himmels willen, Claire, ich bin doch kein Monster!«
»Ganz bestimmt nicht.« Sie nahm seine Hände und drückte sie. »Das Gegenteil trifft zu, mein Schatz. Kaum jemand ist so stark und so gütig wie du. Laß den Jungen einfach noch eine Weile gewähren. Alles kommt bestimmt wieder ins Lot, wenn er seinen Abschluß geschafft hat.«
Jerald wartete, bis er hörte, wie seine Eltern das Haus verließen. Er hatte schon befürchtet, sein Vater würde zu ihm kommen und von ihm verlangen, sie zu dem Dinner zu begleiten. Wieder so eine dämliche Hähnchen-mit-Spargel-Veranstaltung, auf der alle nur über Politik redeten und allein an ihren eigenen Anliegen interessiert waren, während sie insgeheim danach Ausschau hielten, an wessen Frackschoß sie sich hängen konnten.
Am begehrtesten war natürlich der seines Vaters. Er wurde bereits von zu vielen umringt, die ihm in den Hintern kriechen wollten. Das alles machte Jerald krank. Diese Leute wollten doch nichts anderes, als ein großes Stück vom Kuchen abbekommen. Und erst diese Reporter, die ständig ums Haus schlichen und nach irgendwelchem Schmutz suchten, mit dem sie den zukünftigen Präsidenten bewerfen konnten. Aber sie würden nichts dergleichen finden, denn sein Vater war perfekt und einfach der Beste. Und sobald er im November gewählt war, würde er all die Speichellecker mit eisernem Besen davonfegen. Sein Vater brauchte niemanden. Er würde reinen Tisch machen, all die Nichtstuer und Sesselfurzer aus der Verwaltung jagen und das Land regieren, wie es für alle das beste war. Und Jerald würde an seiner Seite stehen und die Macht genießen, die ihm zufiele. Und er würde lachen, würde sich über all die Idioten die Seele aus dem Leib lachen.
Und wie würden ihn die Frauen umschwärmen. Sie würden flehen und betteln, um die Aufmerksamkeit des Präsidentensohns erhaschen zu können. Mary Beth würde es bitterlich bereuen, ihn abgewiesen zu haben. Selbstverliebt tastete er über die Kratzer in seinem Gesicht. Mary Beth würde vor ihm auf die Knie fallen und um Vergebung bitten. Aber er würde ihr nicht verzeihen. Wahrhaft mächtige Männer vergaben nicht, sie bestraften. So würde es Mary Beth und all den anderen Nutten ergehen, die Versprechungen machten, ohne je wirklich vorzuhaben, sie einzuhalten.
Und niemand konnte dann zu ihm durchdringen, weil er nämlich jenseits ihres beschränkten Verständnishorizonts stehen würde. Noch verspürte er allerdings Schmerz. Sogar in diesem Moment pochten die Wunden an seinem Unterschenkel dumpf. Doch bald würde er auch dieses Stadium überwunden haben. Er kannte das Geheimnis. Alles kam nur auf den Willen an. Jerald war zu Großem berufen, das hatte ihm sein Vater immer wieder gesagt. Aus diesem Grund hatte sich auch nie einer der kleingeistigen Schwächlinge in seiner Klasse dafür qualifiziert, sein Freund zu werden.
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