Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
beruhigt. Seine besonnene, angenehme Art tat gut. Ihr Mut war nicht weiter gesunken. Das hatte sie beinahe erwartet nach dem ersten Gespräch.
Jetzt saß sie auf der Liege und wartete. Auch die normalen Untersuchungsräume waren von Jugendstilelementen geprägt. Die Hälfte der Wände war in einem Mittelblau gehalten. Über einer filigranen Abschlussleiste aus Holz schloss sich eine Borte mit einem verschlungenen floralen Muster an. Darüber war die Wand hell verputzt. Auf Messingschienen hingen kurze, helle Gardinen, ebenso hingen weiße Handtücher sauber aufgehängt auf kleineren Messingschienen. Alles mutete eher an wie in den Wohnräumen. Nur die medizinischen Geräte brachten Nüchternheit in den Raum.
Zu ihrer großen Verwunderung trat gerade die Catcherin ins Zimmer. Beide Frauen sahen sich wortlos an.
„Legen Sie sich bitte auf die Liege, und machen Sie die Brust frei“, ordnete die Frau an. Ihre Stimme war ebenso maskulin wie ihr Aussehen. Dr. Pütz war es unangenehm, dass sie ausgerechnet von dieser Frau berührt wurde.
Trotzdem legte sie sich artig auf die Liege und öffnete ihren BH.
Die Catcherin desinfizierte, ohne eine Miene zu verziehen, die Stellen, wo die Messpunkte aufgelegt werden sollten. Auf die Messpunkte trug sie ein elektrisch leitendes Gel auf. Auf dem Oberkörper wurden sechs Elektroden in einer bestimmten Reihenfolge angebracht. Die Elektroden verband sie mit dem EKG-Gerät, und die elektrische Herzaktivität wurde bestimmt. Nicht ganz fünf Minuten lag Pütz auf der Liege. Die Catcherin nestelte etwas in einer Ecke. Pütz konnte sie nicht sehen, nur hören. Nach der Untersuchung entfernte sie die Messelektroden wieder und rollte den Ausdruck zusammen. Sie nahm ein Handtuch von einem der Messingstangen und reichte es Dr. Pütz.
Ebenso wortlos, wie sie ins Zimmer gekommen war, verschwand sie wieder.
Pütz hievte sich wieder in eine aufrechte Position. Dabei fiel ihr das Haar ins Gesicht.
Was war das für ein Auftritt?
Sie strich sich die Strähne aus dem Gesicht, schnappte sich den Büstenhalter, und zog sich danach ihre Bluse wieder an.
Zurück an der Anmeldung schickte man sie erneut auf ihr Zimmer. Sie sollte sich in ihren Sportdress werfen, um sich dann wieder im Sportraum einzufinden. Dort sollte ein Belastungs-EKG durchgeführt werden.
Eine halbe Stunde später stand sie vor einem Laufband. Neben sich hatte sie eine fröhliche junge Frau sehen. Dünn wie ein Haken war sie. Aber mit einer ansteckenden Fröhlichkeit erklärte sie ihr gerade, wie schnell sie laufen sollte. Ihr blonder Pferdeschwanz wippte.
„Laufen Sie nur so schnell, dass Sie nicht anfangen, zu schnaufen“, sagte sie. Wieder wurden die Elektroden befestigt, nur waren es diesmal nicht so viele wie bei dem EKG zuvor.
Carola Pütz nickte. Lange war es her, dass sie das letzte Mal joggen war.
„Ich bin eh nicht in Form“, sagte sie.
„Nur ruhig, Sie haben einen Infarkt hinter sich. Es ist keinem geholfen, wenn Sie hier auf dem Band zusammenklappen, weil Sie sich etwas beweisen wollen. Damit ist keinem geholfen.“
„Ja, sicher.“
„Wenn etwas sein sollte, ich bin immer in der Nähe. Rufen Sie nach mir, bloß keine falsche Scham“, sagte sie noch und Dr. Pütz lief los.
Das Laufband stand vor einem Fenster. Das erlaubte ihr, einen Blick in den angrenzenden Park zu werfen. Zweiflügelig, und mit einem großen Oberlicht, passte das Fenster hervorragend zum Stil des Raumes. Der Boden war mit Parkett ausgelegt. Unter den einzelnen Geräten, rechts und links neben ihr stand jeweils ein Ergometer-Fahrrad, lagen dicke Schaumstoffmatten. Sie sollten Geräusche dämmen, die von den Geräten ausgingen und sicher auch den Boden schonen. Die Fenster waren ohne Gardinen.
Das Wetter war nicht schlecht an diesem Tag. Blauer Himmel wurde von großen, weißen Kumulus-Wolken abgelöst. Kein Regen.
*
Nachdem sie alle Untersuchungen an diesem Morgen hinter sich gebracht hatte, ließ sie sich erschöpft auf das Bett fallen. Soeben hatte sie die Ergebnisse von einem netten Arzt übermittelt bekommen. Dr. Torben Frerichs war der Assistent von Prof. Dr. Wielpütz. Nachdem der in Rente gegangen sein würde, stünde er bereit , um den Platz des leitenden Klinikarztes, einzunehmen.
Der Arzt hielt die Aufzeichnung des EKG in den Händen. „Durch das Elektrokardiogramm erhalten wir Auskunft über den Herzrhythmus und die Herzfrequenz. Störungen in der Erregungsbildung, deren Ausbreitung und Rückbildung im
Weitere Kostenlose Bücher