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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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nicht zu rennen, und ging in gleichmäßigem Tempo an einem gebrochenen Arm, einer Verbrennung zweiten Grades und einer leichten Gehirnerschütterung vorbei. Im Gang lag 367
    eine alte Frau auf einer Bahre und versuchte vergeblich zu schlafen. Als Tess an der letzten Kabine vorüberkam, fand sie ihn.
    »Tess! Na so was!« Erfreut und überrascht schaute der Arzt sie an. »Was machst du denn hier?«
    »Oh. John. Hallo.«
    »Hallo. Es passiert nicht oft, daß ich hier Besuch von schönen Frauen bekomme«, begann er. Dann bemerkte er, wie sie seinen Patienten ansah. »Oh, verstehe.« Sein recht ausgeprägtes Selbstbewußtsein trug nur eine kleine Schramme davon. »Ich nehme an, ihr kennt euch.«
    Ben rutschte ein Stück nach vorn und wäre vom
    Behandlungstisch aufgestanden, wenn der Arzt ihn nicht davon abgehalten hätte. »Tess, was machst du denn hier?«
    »Ed hat mich in der Klinik angerufen.«
    »Das hätte er nicht tun sollen.«
    Jetzt, da sie nicht mehr die Befürchtung zu haben brauchte, daß er am Verbluten war, bekam sie weiche Knie. »Er hat gedacht, daß es mich auch etwas angeht, und er wollte nicht, daß ich erst in den Nachrichten davon erfahre. John, wie schlimm ist es?«
    »Keine große Sache«, antwortete Ben.
    »Zehn Stiche mit der Nadel«, fügte der Arzt hinzu, während er den Verband festmachte. »Muskeln sind offenbar nicht verletzt. Er hat etwas Blut verloren, aber das ist halb so wild. Um den Duke zu zitieren: Nur eine Schramme.«
    »Der Typ hatte ein gottverdammtes Fleischermesser«, murmelte Ben, den es ärgerte, daß jemand anders seine Verletzung herunterspielte.
    »Glücklicherweise«, fuhr John fort, während er sich der neben ihm stehenden Schale zuwandte, »haben seine Jacke 368
    und seine Beweglichkeit verhindert, daß das Messer tiefer ins Fleisch gedrungen ist. Ansonsten hätten wir beide Seiten des Arms nähen müssen. Das pikt jetzt ein bißchen.«
    »Was pikt ein bißchen?« Automatisch schnellte Bens Hand vor, um das Handgelenk des Arztes zu packen.
    »Nur eine kleine Tetanusspritze«, sagte John
    beschwichtigend. »Wir wissen schließlich nicht, womit dieses Messer vorher in Berührung gekommen ist. Na kommen Sie schon, beißen Sie die Zähne zusammen.«
    Er setzte an zu protestieren, doch Tess nahm seine Hand.
    Dann spürte er einen stechenden Schmerz im Arm, der jedoch bald nachließ.
    »Na also.« John ließ die Schale stehen, um die sich später die Schwester kümmern würde. »Das hätten wir geschafft. Auf Tennis oder Ringkämpfe müssen Sie in den nächsten Wochen verzichten, Detective. Halten Sie den Wundbereich trocken und kommen Sie Ende nächster Woche noch mal her. Dann ziehe ich Ihnen die Fäden.«
    »Vielen Dank.«
    »Ihre Gesundheit und Ihre Krankenversicherung sind Dank genug. War schön, dich wiederzusehen, Tess. Gib mir Bescheid, wenn dir wieder mal der Sinn nach Sake und Seeigel steht.«
    »Wiedersehn, John.«
    »John, hm?« Ben ließ sich vorsichtig vom Tisch gleiten.
    »Hast du jemals ein Rendezvous mit jemand gehabt, der kein Akademiker war?«
    »Warum in aller Welt sollte ich?« Eine muntere Antwort schien ihr am angebrachtesten, nachdem sie die blutgetränkten Tücher in der Schale erspäht hatte. »Hier ist dein Hemd. Warte, ich helfe dir.«
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    »Das kann ich selbst.« Doch sein Arm war steif und schmerzte. Er schaffte es nur, in einen Ärmel zu kommen.
    »Ist schon okay. Nach zehn Stichen in den Arm hat man das Recht, grantig zu sein.«
    »Grantig?« Er schloß die Augen, während sie ihm behutsam das Hemd anzog. »Herrgott noch mal,
    Vierjährige sind grantig, wenn sie kein Mittagsschläfchen gemacht haben.«
    »Ja, ich weiß. Komm, ich knöpfe es zu.« Zumindest beabsichtigte sie das. Sie hatte sich vorgenommen, sein Hemd zuzuknöpfen und fröhlich mit ihm zu plaudern. Als sie beim zweiten Knopf war, sank ihr Kopf gegen seine Brust.
    »Tess?« Er strich ihr übers Haar. »Was ist denn los mit dir?«
    »Nichts.« Sie trat ein Stück zurück und knöpfte ihm mit gesenktem Kopf weiter das Hemd zu.
    »Tess.« Er schob die Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht hoch. Ihre Augen schwammen in Tränen. Mit dem Daumen strich er ihr eine Träne von den Wimpern. »Nicht doch.«
    »Keine Bange.« Als sie jedoch ihre Wange gegen seine preßte, schluchzte sie auf. »Nur eine Minute, okay?«
    »Klar.« Er legte seinen unverletzten Arm um sie und gab sich dem elementaren Genuß hin, den man empfindet, wenn man jemandem am Herzen liegt. Manche Frauen hatte sein

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