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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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bist du ein Hornochse.«
    Als Ed die Wagentür zuknallte, wachte Ben aus seiner Benommenheit auf. »Was?«
    »Und es sollte auch nicht erforderlich sein, daß dir ihr Onkel Joe in die Rippen stößt.« Ed ließ den Motor aufheulen.
    »Sag mal, Ed, war dein Frühstücksmüsli nicht mehr ganz gut?«
    »Du solltest lieber richtig hingucken, Partner, bevor du über die Säge stolperst.«
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    »Säge? Was für ’ne Säge?«
    »Ein Farmer ist gerade beim Holzsägen«, begann Ed, während er vom Parkplatz fuhr. »Ein feiner Pinkel aus der Stadt sieht ihm dabei zu. Plötzlich ertönt die Essensglocke, und der Farmer setzt sich in Bewegung, stolpert aber über die Säge. Er steht auf und fängt wieder an, Holz zu sägen.
    Der feine Pinkel fragt ihn, warum er nicht zum Essen reingeht, woraufhin der Farmer sagt, da er über die Säge gestolpert sei, habe das keinen Sinn mehr. Jetzt sei sowieso nichts mehr übrig.«
    Ganze zehn Sekunden lang saß Ben schweigend da.
    »Das erklärt natürlich alles. Wollen wir nicht ins Krankenhaus zurückfahren, damit sie dich dort kurz untersuchen können?«
    »Der springende Punkt ist: Wenn dir eine Gelegenheit ins Gesicht starrt und du ewig zauderst, verpaßt du die Gelegenheit. Die Frau ist einfach fantastisch, Ben.«
    »Das weiß ich.«
    »Dann solltest du verdammt aufpassen, daß du nicht über die Säge stolperst.«
    374
    16
    Als Joey zur Hintertür hinaustrat, fing es gerade an zu schneien. Da er wußte, daß die Windfangtür klapperte, zog er sie behutsam zu, bis sie einschnappte. Er hatte daran gedacht, seine Handschuhe mitzunehmen, und hatte sogar seine blaue Skimütze über den Kopf gezogen. Statt Stiefel anzuziehen, hatte er jedoch seine hohen Turnschuhe anbehalten. Das waren seine Lieblingsschuhe.
    Niemand sah ihn das Haus verlassen.
    Seine Mutter und sein Stiefvater waren im
    Wohnzimmer. Er wußte, daß sie sich über ihn gestritten hatten, weil ihre Stimmen gedämpft gewesen waren und den schrillen, nervösen Ton gehabt hatten, den sie immer hatten, wenn sie sich seinetwegen stritten.
    Sie meinten, das wisse er nicht.
    Seine Mutter hatte einen Truthahnbraten mit allem Drum und Dran zubereitet. Während der Mahlzeit hatte sie fröhlich – zu fröhlich – geplaudert und gesagt, wie nett es doch sei, das Erntedankfest im engsten Familienkreis zu feiern. Donald hatte Witze über Essensreste gerissen und mit dem Kürbiskuchen geprahlt, den er selbst gebacken hatte. Es hatte Preiselbeersauce gegeben und die kleinen Hörnchen, die im Backofen so locker und knusprig wurden.
    Es war das traurigste Erntedankfest in Joeys Leben gewesen. Seine Mutter wollte nicht, daß er irgendwelche Probleme hatte. Sie wollte, daß er glücklich war, in der Schule gut vorankam und Basketball spielen ging.
    Normal. Joey hatte gehört, wie sie dieses Wort in eindringlich gedämpftem Tonfall seinem Stiefvater 375
    gegenüber benutzt hatte. Ich möchte doch nur, daß er normal ist.
    Aber das war er nicht. Joey vermutete, daß sein Stiefvater das irgendwie begriff und daß sie sich deshalb stritten. Er war nicht normal. Er war Alkoholiker, genau wie sein Vater.
    Seine Mutter sagte, sein Vater TAUGE NICHTS.
    Joey wußte, daß Alkoholismus eine Krankheit ist. Er wußte, was Sucht bedeutet und daß sie sich nicht heilen, sondern immer nur eindämmen läßt. Er wußte auch, daß es Millionen von Alkoholikern gibt und daß es möglich ist, Alkoholiker zu sein und das normale Leben zu führen, das sich seine Mutter so sehr für ihn wünschte. Das erforderte Bereitwilligkeit und Anstrengung und Veränderung.
    Manchmal hatte er es satt, sich anzustrengen. Wenn er seiner Mutter sagte, daß er es satt habe, regte sie sich immer auf.
    Er wußte auch daß Alkoholismus oft vererbt werden kann. Er hatte seine Abhängigkeit von seinem Vater geerbt, ebenso wie die Tatsache, daß er NICHTS
    TAUGTE.
    Auf den Straßen des hübschen, gepflegten Wohnviertels, das er durchquerte, war alles ruhig. Schneeflocken tanzten im Licht der Laternen wie die Elfen aus den
    Märchenbüchern, die seine Mutter ihm vor Jahren vorgelesen hatte. Er sah die erleuchteten Fenster, hinter denen die Leute ihr Erntedankfestdinner aßen oder sich vor dem Fernseher von der Anstrengung des Essens erholten.
    Sein Vater war nicht gekommen, um ihn abzuholen.
    Er hatte nicht einmal angerufen.
    Joey meinte zu verstehen, warum sein Vater ihn nicht mehr liebte. Er wollte an seine Trunksucht, den ganzen 376
    Streit und die schlimme Zeit einfach nicht mehr

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