Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
nach seinem Instinkt, als daß er methodisch vorgeht. Oder vielleicht sollte man besser sagen, nach seinen Gefühlen.«
    Die Worte Gerechtigkeit und Schwert fielen ihr ein.
    »Sind sie kompetent?«
    »Ich weiß nicht, wie ich das beurteilen soll, Großpapa.
    Wenn ich nach meinen Eindrücken gehe, würde ich sagen, sie sind sehr engagiert. Aber selbst das ist nur ein 54
    Eindruck.«
    »Der Bürgermeister hat großes Vertrauen zu ihnen.« Er kippte den restlichen Scotch runter. »Und zu dir.«
    Mit ernstem Blick sah sie ihn wieder an. »Ich weiß nicht, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Dieser Mann ist psychisch extrem gestört, Großpapa. Und gefährlich. Ich mag in der Lage sein, für die Polizei ein ungefähres Bild seines Geisteszustands, seiner emotionalen Befindlichkeit zu entwerfen, aber das wird ihn nicht daran hindern weiterzumachen.« Sie stand auf und steckte die Hände in die Taschen. »Es ist alles nur ein Ratespiel.«
    »Das ist immer so, Tess. Du weißt doch, daß es keine Garantien und keine absoluten Gewißheiten gibt.«
    Sie wußte es, aber es gefiel ihr nicht. Und es hatte ihr noch nie gefallen. »Er braucht Hilfe, Großpapa. Er schreit um Hilfe, doch niemand kann ihn hören.«
    Er stützte das Kinn in die Hand. »Er ist nicht dein Patient, Tess.«
    »Nein, aber ich stecke in dieser Sache mit drin.« Als sie sah, wie er die Stirn runzelte, schlug sie einen anderen Ton an. »Nun mach dir mal keine Sorgen. Ich werde es schon nicht übertreiben.«
    »Das hast du schon mal gesagt. Damals ging es um eine Kiste voller Kätzchen. Das Ende vom Lied war, daß sie mich mehr gekostet haben als ein guter Anzug.«
    Erneut küßte sie ihn auf die Wange. Dann nahm sie seinen Mantel. »Und du hast sie alle heiß und innig geliebt. Jetzt muß ich arbeiten.«
    »Wirfst du mich etwa raus?«
    »Ich helfe dir nur in deinen Mantel«, erwiderte sie.
    »Gute Nacht, Großpapa.«
    »Benimm dich, Mädel.«
    55
    Als sie die Tür hinter ihm schloß, fiel ihr ein, daß er das schon seit ihrem fünften Lebensjahr zu ihr sagte.

    Die Kirche war dunkel und leer. Es hatte ihm keine Schwierigkeiten bereitet, das Schloß zu öffnen, und er hatte auch nicht das Gefühl, eine Sünde begangen zu haben. Kirchen sollten nicht verschlossen sein. Das Haus Gottes sollte für alle offenstehen, die Not litten, Kummer hatten oder beten wollten.
    Er zündete Kerzen an, insgesamt vier – drei für die Frauen, die er gerettet hatte, und eine für die Frau, die er nicht hatte retten können.
    Er fiel auf die Knie und betete. Sein Gebet war von Verzweiflung erfüllt. Manchmal, aber nur manchmal, kamen ihm Zweifel, wenn er an seine Mission dachte. Ein Leben war etwas Heiliges. Er hatte drei Leben ausgelöscht und wußte, daß alle Welt ihn für ein Monster hielt. Wenn jene Menschen, mit denen er zusammenarbeitete, Bescheid wüßten, würden sie ihn verachten, ihn ins Gefängnis stecken, ihn hassen. Ihn bemitleiden.
    Aber das Fleisch war vergänglich. Nur der Seele wegen war ein Leben heilig. Es war die Seele, die er rettete, die er weiterhin retten mußte, bis alles wieder im Gleichgewicht war. Zweifel waren an sich schon eine Sünde, das wußte er.
    Wenn er nur jemanden hätte, mit dem er reden könnte.
    Wenn es bloß jemanden gäbe, der ihn verstehen, ihm Trost zusprechen würde. Eine Welle der Verzweiflung
    durchströmte ihn, heiß und heftig. Es wäre eine Erleichterung gewesen aufzugeben. Es gab niemanden, dem er vertrauen konnte. Niemanden, mit dem er seine Last teilen konnte. Wenn die STIMME schwieg, war er so allein.
    56
    Er hatte Laura verloren. Laura hatte sich selbst verloren und Teile von ihm mit sich genommen. Die besten Teile.
    Manchmal, wenn es dunkel war, wenn alles still war, konnte er sie sehen. Nie mehr lachte sie. Ihr Gesicht war so bleich und schmerzerfüllt. Indem man in leeren Kirchen Kerzen anzündete, ließ sich weder der Schmerz noch die Sünde tilgen.
    Sie wartete, von Finsternis umgeben. Erst wenn seine Mission erfüllt war, würde sie frei sein.
    Der Duft brennender Kerzen, die tiefe Stille, die in einer Kirche herrschte, und die Silhouetten der Statuen beruhigten ihn. Diese Umgebung erfüllte ihn mit Hoffnung, hier fühlte er sich geborgen. Die Symbole der Religion wie auch die Grenzen, die sie zog, waren immer ein großer Trost für ihn gewesen.
    Er senkte den Kopf und betete noch inbrünstiger. Wie man es ihm beigebracht hatte, betete er um die Gnade, alle Prüfungen, die ihm noch bevorstehen mochten, auf sich

Weitere Kostenlose Bücher