Verlorene Seelen
darauf lag. »Es dauert nicht lange.« Er setzte sich nicht hin, sondern stand, die Hände in den Taschen, da und sah sich den Vorspann der Nachrichten an. Die Topmeldung des Abends wurde von der hübschen Brünetten mit dem herzförmigen Gesicht verlesen.
»Das Büro des Bürgermeisters hat heute bestätigt, daß Dr.
Teresa Court, die bekannte Washingtoner
Psychiaterin, dem mit der Untersuchung der PriesterMorde betrauten Team zugeteilt worden ist. Dr. Court, die Enkelin des langjährigen Senators Jonathan Writemore, war für eine Stellungnahme leider nicht zu erreichen. Die Ermordung von mindestens drei Frauen geht vermutlich auf den Täter zurück, dem man den Spitznamen ›der Priester‹ gegeben hat, weil er seine Opfer mit einem Humerale erdrosselt, einem Schultertuch, das von katholischen Priestern beim Gottesdienst getragen wird.
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Die Polizei setzt ihre im August begonnenen Ermittlungen jetzt mit Unterstützung von Dr. Court fort.«
»Nicht schlecht«, murmelte Ben. »Dein Name wurde dreimal erwähnt.« Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er es hin, als Tess zum Fernseher marschierte und ihn abrupt abstellte.
»Ich kann nur wiederholen: Sag, was du zu sagen hast.«
Ihre Stimme klang ruhig. Entschlossen, ebenfalls gelassen zu bleiben, zog er eine Zigarette aus der Tasche.
»Morgen früh um acht halten wir im Büro des
Bürgermeisters eine Pressekonferenz ab.«
»Das hat man mir bereits mitgeteilt.«
»Du darfst nur Allgemeines sagen, ohne auf die näheren Einzelheiten des Falls einzugehen. Die Presse weiß über die Mordwaffe Bescheid, aber es ist uns gelungen, die Sache mit den Zetteln und dem, was darauf steht, geheimzuhalten.«
»Ich bin doch nicht blöd, Ben. Ich weiß, wie man sich bei einem Interview zu verhalten hat.«
»Das bezweifle ich nicht. Diesmal geht es allerdings um Polizeiangelegenheiten, nicht um persönlichen Ruhm.«
Sie öffnete den Mund, brachte es jedoch lediglich fertig, zischend den Atem auszustoßen. Sie wußte, daß es unwürdig und nutzlos war, in Wut zu geraten. Sie wußte, daß solch eine lächerliche und bittere Behauptung keine Antwort verdiente. Sie wußte, daß Ben, der sich anmaßte, über sie zu Gericht zu sitzen, nichts anderes verdiente als eine äußerst kühle, äußerst beherrschte Abfuhr.
»Du voreingenommener, kleingeistiger, unsensibler Blödmann.« Erneut klingelte das Telefon, doch sie achteten beide nicht darauf. »Wofür, zum Teufel, hältst du dich eigentlich? Stürmst hier rein und läßt beleidigende 101
Sprüche vom Stapel!«
Er sah sich nach einem Aschenbecher um und entschied sich für eine kleine, handbemalte Schale. Daneben stand eine Vase mit frischen Herbstchrysanthemen. »Und was war das eben?«
Sie stand stocksteif da, wie ein Soldat, während er ganz leger dastand und Asche in die Schale schnippte. »Eines möchte ich mal klarstellen. Ich habe diese Sache nicht an die Presse weitergegeben.«
»Das hat auch niemand behauptet.«
»Tatsächlich nicht?« Sie steckte ihre Hände in die Taschen des Rocks, den sie schon seit vierzehn Stunden anhatte, denn so lange arbeitete sie bereits. Ihr Rücken tat weh, ihr Magen war leer, und sie sehnte sich nach dem, was sie ihren Patienten so angestrengt zu vermitteln suchte
– nach innerer Ruhe. »Na, da interpretiere ich diese kleine Szene aber anders. Außerdem hat man mir versprochen, daß mein Name im Zusammenhang mit den Ermittlungen nicht erwähnt werden würde.«
»Magst du es nicht, wenn die Leute erfahren, daß du mit der Polizei zusammenarbeitest?«
»Du hältst dich wohl für verdammt clever, wie?«
»Na, und ob!« entgegnete er. Es faszinierte ihn, daß sie völlig die Selbstbeherrschung verloren hatte. Während sie sprach, lief sie auf und ab. Ihre Augen waren dunkler geworden und sahen jetzt purpurfarben aus. Ihre Wut hatte etwas Starres, Eisiges und unterschied sich deutlich von der giftspeienden, tellerwerfenden Variante, die ihm eher vertraut war. Dadurch wurde alles nur noch interessanter.
»Was ich auch sage, du hast immer eine Entgegnung parat. Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, daß ich es vielleicht vermeiden möchte, von meinen Patienten, meinen Kollegen, meinen Freunden auf diesen Fall 102
angesprochen zu werden? Hast du schon mal daran gedacht, daß ich diesen Fall eigentlich gar nicht übernehmen wollte?«
»Warum hast du es dann getan? Die Bezahlung ist doch mies.«
»Weil man mich davon überzeugt hat, daß ich imstande sei zu helfen. Wenn ich nicht
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