Vermächtnis der Sünder: Die Kinder des Einen (German Edition)
gesungen, erreichte mich und gab mir wieder meine Gestalt.« Die hellblauen Augen blickten Lutek milde an.
»Die Melodie des Lichts ist Glaube. Doch es ist nicht der Glaube an mich, den man fälschlicherweise denkt. Es ist der Glaube und die Liebe zueinander. Es ist die Liebe meiner Kinder, die zueinander entflammte.«
Begreifend klappte Lutek voller Erstaunen seinen Mund auf.
Es war der Gesang der Liebe – die Worte einer Frau, welchen jenen gefunden hatte, der die Antwort auf ihre Herzensfragen war. Und mit den Worten entflammte ihr Herz und glühte in der Nähe des Mannes, den sie auserwählt hatte. Der Schöpfer hatte ihn zu Celena gesandt.
Das waren seine eigenen Worte zu seiner Geliebten. Es war ein Geschenk des Göttlichen Vaters.
»Nun kannst du mir sagen, weshalb du hier bist?«, fragte der gerüstete Riese.
»Ich … ich bin wegen ihr hier. Um für sie zu bitten und zu flehen. Ich bin hier, um für sie zu kämpfen«, flüsterte Lutek.
»Dann sag mir, wer du bist.«
Luteks Gesicht bezeugte Verständnislosigkeit von einer Spur Erleuchtung in der Miene.
»Und was willst du?«, fragte der Riese ohne Umschweife weiter.
Was er wollte? Leben, seine Gefährtin retten, das war das Einzige, was er wollte, schoss es dem Rotschopf durch den Kopf.
»Was ist es, wofür es sich lohnt zu leben?«
»Celena«, sprudelte das eine Wort aus ihm heraus.
»Sie ist dein Seelenteil, dein Gegenstück und der gefallene Stern Estrellia. Sie ist jener Teil der Seele, die ich aus einem Körper trennte und jene, die dir bestimmt ist.«
Thotodin schwieg kurz.
»Sie ist eines meiner Kinder, wie du eines bist. Ihr wurdet von unterschiedlichen leiblichen Eltern gezeugt und geboren. Sie ist das Gegenstück. Vereint seid ihr mächtig wie zu jener Zeit, bevor ich euch trennte und sie ist deine Schwester gleichermaßen.«
»Die anderen Kinder? Was ist mit ihnen?« wisperte Lutek überfordert von den neuen Erkenntnissen.
»Die anderen!« wiederholte der göttliche Vater und nickte leicht.
»Der eine, ein Gläubiger, der seinen Glauben nicht zulassen möchte. Er nur anerkennt was andere ihm aufbürden und das hinnimmt, wie es ist. Mein viertes Kind, eine Tochter – ich habe ihren Glauben nie vernommen. Sie kennt die Liebe zu mir nicht und weigert sich, sie anzunehmen. Unwichtig!« Er wischte imaginär den Satz hinweg. »Diese beiden liebten einander, für nur einen Moment.«
Sofort wusste Lutek, wer die Tochter war. »Morena! Sie ist eines der Kinder!« stellte er mit Entsetzen fest.
»Sie ist es«, bestätigte der Gigant.
Das war zu viel der Neuigkeiten. Übermannt davon sank Lutek in die Knie. In seinen Gedanken tobte ein Sturm von unbestreitbaren Fakten, der seinen Glauben auf seine eigene selbst erbaute Welt ins Schwanken ja sogar zum Einsturz brachte.
»Glaube, es ist nicht die Anbetung eines einzigen Gottes. Es ist nicht die Hinwendung zu diesem, ob er erschaffen hat oder nicht«, ertönte erneut die sonore Bassstimme. Glaube ist eine Empfindung für etwas, zu dem man sich entschieden hat. Du selbst … du hast mit anderen Augen gesehen und dahin gehend anders geglaubt, als all diejenigen die mich anbeteten. Denn du hast dir die Freiheit genommen, zu entscheiden. Der Wille zur freien Entscheidung war es, der die Erfüllung bis heute verhinderte, wozu ich euch bedachte. Und auch jetzt musst du entscheiden. Mein Kind, Glaube ist Liebe. Und suche nicht die Liebe in einem Gott, auch wenn er sich dies wünschen mag. Sucht nicht dort!«
Er erhob sich aus seiner knienden Position. Mit langen Schritten ging er auf seine Thron zu, blieb stehen und starrte auf den Herrschersitz. Nach einer Weile drehte er sich zu Lutek um, der sich ebenfalls erhoben hatte.
»All in der Einsamkeit des Menschseins versuchen sie Trost in der Liebe eines Gottes zu finden und übersehen dabei, dass sie in dieser Einsamkeit nur eines erwarten können – das Zueinander.«
Die tiefe Bassstimme echote durch die Halle. Schweigen folgte. Er schien Worte zu überdenken und schaute dabei den Adler an.
»Einen einzigen Fehler machte ich in all dieser Zeit meines Seins«, fuhr er fort. »Ich gab meine unendliche Liebe einem Menschen.«
»Karmaste«, krächzte Lutek.
Augenblicklich fragte er sich, warum sie nicht hier in der Halle war. Hieß es doch in den Schriften der Gebetshäuser, dass sie an seiner Seite stehe. Ihn sogar anflehte, sich den Wesen dieser Welt wieder zuzuwenden.
Das sanfte, mild wirkende Gesicht des Schöpfers wandelte sich zu einer vor schäumenden Wut
Weitere Kostenlose Bücher