Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
du dich wirklich dafür interessierst, wer sie sind und was sie tun. Das ist genug.“
„Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.“ Bea sagt das auf eine Weise, die mir verrät, dass ich das Thema fallen lassen soll, aber ich kann nicht.
„Meinst du, sie erinnern sich an dich?“, frage ich. „Ich meine, deine Jüngste? Du hast sie seit ihrer Geburt nicht mehr gesehen. Glaubst du, sie weiß auf irgendeine Art, wer du bist?“
Bea lacht. „Guter Gott, ich hoffe nicht. Das arme Kind ist im Gefängnis geboren worden.“ Dann fügt sie etwas ernsthafter hinzu: „Ich hoffe, dass sie keine Erinnerung an diesen grauenhaften Ort hat. Meine Schwester war meinen Kindern eine gute Mutter. Ich will auch wieder ihre Mutter sein, aber vielleicht muss ich mich mit weniger zufriedengeben. Wer weiß, vielleicht wird ihnen die Vergangenheit egal sein, vielleicht freuen sie sich darauf, mich wieder kennenzulernen. Die Zeit wird es zeigen.“ Bea fischt mit einer Gabel ein paar Nudeln aus dem Wasser. Mit den Fingern nimmt sie sie und wirft sie gegen die Küchenwand, wo sie kleben bleiben. „Ich weiß nie, ob sie kleben bleiben oder herunterfallen sollen, wenn sie gar sind. Ach, egal.“ Sie gießt die Nudeln ab und ruft dann laut: „Essen ist fertig.“
Ich wünschte, es wäre genug für Brynn. Dass wir uns wieder annähern, meine ich. Dann hätte das, was vor fünf Jahren passiert ist, keine so große Bedeutung mehr. Brynn war immer so stolz auf mich; sie hat zu mir aufgesehen. Das will ich wiederhaben. Ich will, dass sie wieder stolz auf mich ist.
Nein, nicht mal stolz. Ich möchte nur, dass sie mich mag . Ich möchte ihr mehr darüber erzählen können, wie ich Joshua wiedergefunden habe, wie sehr er Christopher ähnelt, aber meine Haare hat. Wie Joshua mich auf gewisse Weise an sie erinnert. In seiner Art, Tiere zu lieben, und wie einige Dinge genau so und nicht anders sein dürfen. Und ich möchte, dass Brynn mir von ihrem Leben erzählt. Wie die Vorlesungen an ihrer Schule sind. Ob sie einen Freund hat. Ob unsere Eltern sie genauso verrückt machen wie mich. Ich will Brynn eine Schwester sein, etwas, worin ich nie sonderlich gut war. Aber jeder verdient eine zweite Chance. Sogar ich. Oder nicht?
CHARM
Wieder und wieder hat Gus versucht, bei Allison Glenns Familie anzurufen und mit jemandem über das Baby zu sprechen. Endlich nahm jemand den Hörer ab, und Gus sagte: „Ich rufe wegen des Babys an.“ Als Gus der Person am anderen Ende der Leitung zuhörte, nahm sein Gesicht einen ungesunden gräulichen Farbton an. „Ich verstehe“, sagte er und legte auf.
„Was?“, fragte Charm nervös. „Was haben sie gesagt?“
Gus fuhr sich mit zitternder Hand übers Gesicht und ließ sich stöhnend in einen Sessel sinken. „Mach den Fernseher an“, sagte er.
„Was?“ Charm verstand gar nichts mehr.
„Mach den Fernseher an“, wiederholte Gus. Charm legte ihm das Baby in den Arm, schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme, bis Gus Stopp sagte. Eine Nachrichtensprecherin stand mit ernster Miene am Ufer des Druid River.
„Gus …“, fing Charm an, doch sein Gesichtsausdruck ließ sie verstummen.
„Es war hier, am Ufer des Druid River, dass ein Mann, der mit seinem Enkel angelte, das leblose neugeborene Mädchen fand.“ Die Reporterin machte eine weit ausholende Geste. „Channel Seven News hat gerade erfahren, dass in Verbindung mit diesem Fall ein Mädchen im Teenageralter verhaftet worden ist. Da die Verdächtige noch minderjährig ist, wird ihre Identität vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Wir können Ihnen jedoch sagen, dass die fragliche Person von der Polizei aus ihrem Zuhause in Linden Falls abgeholt und aus nicht näher benannten Gründen in das örtliche Krankenhaus gebracht worden ist.“
Charm drehte sich zu Gus um und sah ihn ausdrucklos an. „Was hat das mit dem Baby und Allison zu tun?“
In dem Moment fing das Baby an zu strampeln. Mit seinen kleinen Armen fuchtelte es wild durch die Luft, sodass Gus es hochnahm und sich an die Schulter legte. „Schon gut, schongut“, flüsterte er dem Kleinen ins Ohr. „Die namentlich nicht genannte Tatverdächtige, die verhaftet wurde“, sagte Gus und nickte Richtung Fernseher, „ist Allison. Und das kleine Mädchen, das sie im Druid gefunden haben, ist die Schwester dieses kleinen Jungen hier.“
ALLISON
Jeden Tag auf meinem Weg zum Buchladen habe ich Angst, dass Claire oder sogar Joshua mich anschauen und mit einem Mal wissen, wer
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