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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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ich bin. Würde das gegen meine Bewährungsauflagen verstoßen? Würden sie mich ins Gefängnis zurückschicken? So widerstrebend ich Cravenville auch verlassen habe, die kurze Zeit in Freiheit hat mir doch gezeigt, dass ich nie wieder dorthin zurückkehren will. Aber auch wenn ich mir ihr Gesicht sorgfältig anschaue, kann ich bei Claire keinen Unterschied erkennen; sie begrüßt mich fröhlich, und wir unterhalten uns angeregt über alles Mögliche.
    Mit jeder Minute, die ich mit Claire verbringe, mag ich sie mehr. Sie spricht mit mir, als wäre ich kein Niemand. Sie verhält sich mir gegenüber ganz normal und behandelt mich nicht von oben herab – auch nicht wegen meiner Vergangenheit. Mir gefällt es, bei Bookends zu arbeiten. Ich mag die Kelbys. Ich weiß, ich sollte ihnen sagen, dass ich vermute, dass Joshua mein Sohn ist, aber ich kann es nicht. Ich will es auch nicht.
    Um halb vier stürmt Joshua in den Laden. Sein normalerweise blasses Gesicht ist ganz rot, und er hat die Lippen wütend aufeinandergepresst. Irgendwie scheint er zu glitzern. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich, dass es sich um orangefarbenen Glitter handelt. Joshua versucht entschlossen, die einzelnen Glitterstückchen von seinem Arm zu zupfen, aber das führt nur dazu, dass sie sich auf einem anderen Teil seines Körpers niederlassen. Jonathan folgt Joshua. Er wirkt frustriert. Schnell tritt Claire hinter dem Tresen hervor. „Was ist los?“, fragt sie besorgt.
    „Josh hatte heute einen schweren Tag in der Schule, der Kleber und Glitter beinhaltet hat“, antwortet Jonathan.
    „Was ist passiert?“ Claire wendet sich an Joshua, der eine finstere Miene macht und die Arme trotzig vor der Brust verschränkt.
    Jetzt erst bemerkt Jonathan mich. „Hey, Allison“, sagt er. „Seine Lehrerin sagt, sie hätten im Kunstunterricht Blätter aus Papier ausgeschnitten und mit Kleber eingeschmiert, auf densie dann Glitzer gestreut haben. Natürlich hat Joshua Kleber an seine Finger bekommen, und daran ist dann Glitter hängen geblieben. Ich muss die Schule loben – Mrs Lovelace hat Joshua geholfen, den Kleber von den Händen abzuwaschen, aber natürlich waren seine Hände danach nicht ganz trocken, und das hat Joshua wahnsinnig gemacht. Von da an ging es nur noch bergab.“
    Ich sehe, dass Claire in Erwartung dessen, was kommt, zusammenzuckt. Joshua reibt sich wie wild über den Arm und fängt an zu weinen. „Hör auf, Josh“, rügt Claire ihren Sohn. „Du kratzt dir die Haut auf.“ Joshua wirbelt herum, sodass er uns den Rücken zuwendet, und fährt fort, seinen Arm zu kratzen. Ich weiß nicht, ob ich versuchen soll zu helfen oder mich wieder der Untersuchung der Alarmanlage widmen und so tun soll, als würde ich die ganze Aufregung nicht bemerken.
    „Nach Aussage von Mrs Lovelace“, fährt Jonathan über Joshuas Weinen hinweg fort, „hat Joshua sein Blatt zusammengeknüllt und damit nur noch mehr Kleber und Glitzer auf sich verteilt. In einem Wutanfall, an den man sich, da bin ich mir sicher, noch lange erinnern wird, hat er dann die Flasche mit dem Glitter genommen und angefangen, das Zeug im gesamten Klassenzimmer zu verteilen. Über die anderen Kinder, ihre Aufgaben, die Lehrerin und sich selbst. Joshua …“ In einer Geste der Verzweiflung hebt Jonathan die Arme. „… wurde aus dem Raum geführt.“
    „Oh Joshua“, sagt Claire enttäuscht. Als sie ihm die Hände auf die dünnen Schultern legt, setzt er sich auf den Boden und weint nur noch heftiger.
    Ohne darüber nachzudenken, knie ich mich so hin, dass ich mich in Joshuas Blickfeld befinde. Einen Moment lang ebbt sein Weinen ab, und er mustert mich misstrauisch aus dem Augenwinkel. Ich spreche, bevor er mit seinem Wutanfall fortfahren kann. „Joshua, das klingt ganz so, als hättest du einen harten Tag gehabt.“ Er dreht sich von mir weg und fängt wieder an zu weinen, aber dieses Mal etwas weniger heftig, sodass ich einfach fortfahre: „Ich wette, du wärst gern auf der Stelle den Glitterlos.“ Das lässt ihn verstummen. Er atmet schwer, aber ich spüre, dass er zuhört, also rutsche ich ein wenig näher an ihn heran und spreche leise und beruhigend auf ihn ein – genau so, wie ich es mache, wenn ich im Gertrude House auf Flora treffe und sie wütend ist. „Ich wette, du wusstest nicht, dass es ein Zauberklebeband gibt, das extra dafür benutzt wird, Glitter abzumachen.“ Ich stehe auf und gehe hinter den Tresen, öffne eine Schublade und hole eine Rolle Paketklebeband

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