Vermisst: Thriller (German Edition)
als er merkte, wie das in meinen Ohren klingen musste. »Das war nicht so gemeint … Dein Vater taucht bestimmt wieder auf. Vergiss, was ich gerade gesagt habe.«
Ich berührte sein Gesicht. »Schon passiert.«
Aber ich würde es nicht vergessen. Niemals.
»Was für ein friedliches Städtchen. Solche Nester gehen mir wirklich auf den Senkel.«
Es war zwei Uhr nachmittags, und der weiße Mercury parkte am Rand eines kleinen Sträßchens in Santa Barbara.
»Da ist ja in Disneyland mehr los«, maulte Christian.
»Die meisten Leute mögen die Ruhe«, erwiderte Boyd Davies.
»Ruhe kann mir gestohlen bleiben. Was hat man davon, wenn die Leute auf der Couch versauern?«
Davies, der am Steuer saß, lehnte sich gegen die Kopfstütze und kaute auf seinem Zahnstocher herum. Er hatte keine Ahnung, warum Christian so gereizt war. Vor lauter Nervosität knirschte der Kerl förmlich mit den Zähnen. In dem Haus vor ihnen war alles ruhig. Das war gut. Es bedeutete, dass die Zielperson nichts ahnte.
Die ganze Straße war wie ausgestorben. Seit sie vor fünfzehn Minuten um die Ecke gebogen waren, hatte sich bis auf einen schwarzen Pick-up, der mit dröhnender Stereoanlage davonbrauste, überhaupt nichts bewegt. Wahrscheinlich brauchte Christian für seinen Seelenfrieden die grellen Lichter von Las Vegas und mit dem Hintern wackelnde Mädchen in hautengen Miniröcken. Obwohl der Himmel bewölkt war, trug der Mann tatsächlich eine Armani-Sonnenbrille. Vielleicht half das gegen die Halluzinationen. Christian war mit Amphetaminen vollgepumpt.
»Wie lange willst du noch warten?«, fragte Davies.
Christian antwortete nicht, sondern spielte weiter mit den Patronen aus seiner SIG Sauer. Nachdem er sie ordentlich auf der Armaturentafel aufgereiht hatte, berührte er eine nach der anderen.
Heiliger Himmel! »Es sind immer noch neun, wie beim letzten Mal. Wie lange noch?«
Christian zählte weiter. »Noch fünf Minuten. Danach geht’s hier rund.« Er lächelte.
Davies fröstelte unwillkürlich. Mit seiner Designerkleidung und dem romantisch langen Haar sah Christian aus wie ein Model, doch sein Lächeln erinnerte eher an einen Skorpion. Eiskalt, leer und berechnend. Irgendwas fehlte dem Mann. Davies spürte einen metallischen Geschmack im Mund und griff nach seinen Zigaretten.
Christian warf ihm einen wütenden Blick zu. »Beim Einsatz wird nicht geraucht. Das erregt Aufmerksamkeit.«
»Na und? Wir sind doch nicht die Delta Force. Das hier ist nicht Teheran.« Er zündete sich eine Zigarette an.
Christian riss sie ihm aus den Fingern und drückte sie im Aschenbecher aus. »Mir liegt meine Gesundheit am Herzen.«
Davies stieg die Röte ins Gesicht. »Du benimmst dich wie ein verzogenes Kind.«
»Aber ich bin der Boss.«
Toll. Der Einsatzleiter benahm sich wie ein Zehnjähriger, dem noch nie jemand Grenzen gesetzt hatte. Aber das war Christians Kapital. Er besorgte den Leuten, was sie wollten, ohne sich um irgendwelche Regeln zu scheren.
»Dann benimm dich auch so. Bringen wir es hinter uns«, knurrte Davies.
Christian blieb noch einen Augenblick lang sitzen. Sein schmales Gesicht hinter der Sonnenbrille wirkte bedrohlich. Dann griff er nach seinem Handy.
»Wie ist der aktuelle Stand?« Er hörte eine Weile zu. »Lassen wir die Sache anlaufen.« Er klappte sein Mobiltelefon zu. »Aus dem Alten ist nichts rauszubekommen, sagt Rio. Wir müssen uns an die Tochter halten.«
»Okay.« Davies legte die Hand ans Ohr und lauschte auf das Signal des Mikrofons. Nichts. Nachdem er das Gerät ausgeschaltet hatte, überprüfte er sein Holster.
Christian nahm eine Patrone nach der anderen von der Armaturentafel, lud sie in sein Magazin und lächelte. Wieder fühlte Davies sich an einen Skorpion erinnert.
»The girl is mine«, trällerte er. »Mine, mine, mine, all mine.«
Der Irre sang tatsächlich Michael Jackson. Er rammte das Magazin in den Griff seiner Pistole.
»Darauf warte ich schon mein halbes Leben lang, Boyd. Den Zeitpunkt bestimme ich.«
5. Kapitel
Fünf Sekunden, und alles war anders. Mit einem Handtuch um den Kopf trat ich aus dem Bad. Ohne mich ganz anzuziehen, fing ich an, das Bett zu machen. Meine Haut war noch warm von der Dusche. Die Sonne fiel schräg durch die Jalousien. Gerade schüttelte ich ein Kissen auf, als ich vom Fenster her einen Luftzug spürte. Das Licht schien sich zu verändern. Zigarettenrauch stieg mir in die Nase.
Ohne Vorwarnung presste sich eine Hand auf meinen Mund, und
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