Vermisst: Thriller (German Edition)
dasselbe wie ich. Christian brauchte Georgias Blut und Knochenmark.
»Wenn er sie anrührt, wird ihn das sein eigenes Blut kosten.« Sie klopfte an die Trennscheibe zum Fahrer. »Schneller.«
Das Gras im Hyde Park leuchtete grün, aber die Bäume waren noch kahl. Unten in der Park Lane rollten schwarze Taxis und Luxuslimousinen vorbei. Christian stand am Fenster und fröstelte. Gegen die Kälte halfen weder Kaschmirpullover noch Mantel. Viel zu früh war der Morgen angebrochen. Er hasste die helle Sonne. Gegen seine Müdigkeit half kein Kaffee. Er hatte sich EPO gespritzt. Das würde seine Hämatokritwerte zwar in die Höhe treiben, aber nicht sofort.
Der Morgen war die Zeit des Vergessens, der Erholung. Am Morgen ließ ihn Rio normalerweise in Ruhe. Die Kunden waren weg, das Geld gezählt. Er hatte geduscht, um den Geruch der Freier loszuwerden. Und dann …
Normalerweise hätte er jetzt seine Sig auseinandergebaut, aber die hatte er nicht mit ins Flugzeug nehmen dürfen. Wie sollte er jetzt überprüfen, ob tatsächlich neun Patronen im Magazin steckten? Der Drang, etwas zu demontieren, wurde übermächtig.
Schließlich schraubte er mit dem Schweizer Messer in seiner Waschtasche das Badezimmerschloss auseinander.
Es klopfte an der Tür. Shiver stand im Gang. Ihr Haar glänzte, und die dunklen Augen leuchteten zufrieden. Sie drängte sich an ihm vorbei.
»Wo ist dein Laptop?«
Er deutete auf den Schreibtisch. »Hast du Chrystal?«
»Nicht griffbereit.« Sie hockte sich an den Schreibtisch, holte einen USB-Stick heraus und legte ihn ein. Dann bemerkte sie das in seine Einzelteile zerlegte Schloss auf dem Boden. »Reiß dich zusammen, Christian. Für so was haben wir keine Zeit.«
Shiver war es völlig egal, dass er sie nicht mochte. Überhaupt war es ihr gleichgültig, was Männer von ihr dachten, obwohl sie alle Verführungskünste des Ostens beherrschte, wenn ihr danach war. Aber eigentlich hatte sie das gar nicht nötig.
Ihr mächtigstes Aphrodisiakum war ihre Arroganz. Allzu viele Freier wollten sie davon kurieren und dem jungen Ding eine Lektion erteilen. Sie machten sich nie die Mühe, ihr in die Augen zu sehen.
Rio hatte sie schließlich aus dem Verkehr ziehen müssen, nachdem sie einem Ukrainer mit einem Korkenzieher die Augen ausgestochen hatte.
»Hol mir das Zeug, während der Stick hochfährt«, drängte er.
»Gib mir eine Sekunde. Rio will keine Verzögerung.«
»Rio ist aber nicht hier.« Er zog sie hoch. »Ich brauch den Stoff, um denken zu können.«
Sie reckte das Kinn. »Na klar doch. Warte, ich hab was davon für dich in meiner Muschi.«
»Wie kann man nur so ordinär sein?«, meinte er verächtlich. »Du bist die geborene Hure.«
Sie schüttelte ihn ab. »Gleichfalls.«
Sie verschwand im Bad, um den Beutel mit Methamphetamin aus ihrer Vagina zu holen. Er setzte sich mit seinem Schweizer Messer und den Teilen des Badezimmerschlosses an den Schreibtisch. Während er alles wieder zusammenschraubte, fing das Video auf seinem Laptop an zu laufen. »Ich muss dir was über Christian sagen«, sagte eine Frauenstimme. »Rio gibt ihm irgendwas.«
Er fuhr hoch. Oh Gott, die Wohnung seines Vaters. Sehr still geworden, schaute er sich den Film an.
Als Shiver mit den Drogen aus dem Bad kam, war er kreidebleich und schwitzte. Das Schweizer Messer hielt er krampfhaft umklammert.
Sie wussten Bescheid. Rivera. Phil Delaney. Sein Vater. Vor seinem Tod hatte Rivera es ihm gesagt. Rio richtet Christian für ihre Zwecke ab. Sein Vater war in dem Bewusstsein gestorben, dass sein Sohn auf den Strich ging.
Das Video hatte all die furchtbaren Erinnerungen geweckt. Wieder hörte er den Knall, fühlte, wie ihn das Entsetzen packte, sah …
»Nein!«
Seinen toten Vater. Die Waffe, die sich plötzlich auf ihn richtete. Sein ganzes Leben, das in einem einzigen Augenblick zerstört worden war. Sein Abbild in dem Spiegel an der Wand hinter dem Schreibtisch war so blass, dass es geradezu transparent wirkte.
Er ließ das Messer fallen, packte den Computer und schleuderte ihn gegen den Spiegel, der mit einem lauten Krachen zerbarst.
»Was soll das, Christian?«, fauchte Shiver.
Er funkelte sie wütend an. Alle starrten ihn immer an, als wüssten sie mehr als er.
»Glotz nicht so. Hör auf damit!«
Er riss ihr den Beutel aus der Hand. Die Schwäche drohte ihn zu überwältigen.
»Das ist kein Chrystal.« Er warf ihr das Zeug ins Gesicht. »Ich will keine Pillen.«
»Reiß dich zusammen. Ich hatte
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