Verplant verliebt
isch?“
Jede Aussage, die sie nun tätigte, musste hieb- und stichfest sein, denn ihre Mutter war Meisterin im Auffinden von Ungereimtheiten. Sie wäre in der Lage, noch die abgebrühtesten Verbrecher zu überführen.
Marie wagte einen Versuch: „Ich wollte doch nie einen Kollegen als Partner. Da habe ich mich schwer getan, euch davon zu erzählen.“
„So was isch doch net schlimm. Aber hasch du kein Vertrauen zu uns, Mädle?“ Da war sie, die Verhörtaktik „Schlechtes Gewissen machen“.
„Nein, ich hätte es euch schon noch erzählt.“ Marie bezweifelte, dass sie ihre Mutter hiermit abspeisen konnte.
„Aber des isch so was Grundsätzliches. I muss mi doch sehr wundern.“ Verhörtaktik „Vorwürfe machen“. Marie stöhnte innerlich auf. Konnte ihre Mutter nicht einmal etwas auf sich beruhen lassen?
„Wir sind eben so verliebt ineinander, kannst du dich denn nicht einfach für uns freuen?“ Nein! Das hatte sie nicht sagen wollen.
Aber es wirkte: „Hach. Verliebt seid ihr. I fand's nur komisch, aber sei's drum.“
Marie war erleichtert. Sie hatte ihre Mutter schon weitaus hartnäckiger erlebt, wenn ihre Spürnase anschlug. Marie überlegte, ob sie versuchen sollte, ihrer Mutter die Einladung von Karlo wieder auszureden, vielleicht mit dem Hinweis, ihre Beziehung sei noch zu frisch für eine erneute Familiendosis. Doch sie ahnte, dass das nur wieder zu unangenehmen Nachfragen führen würde, in denen sie sich verstricken konnte. Sie musste sich bis Sonntag etwas einfallen lassen, doch dafür brauchte sie Ruhe. Nur mit ausreichender Vorbereitung konnte ihre Trennungsgeschichte einem Kreuzverhör standhalten. Für diesen Abend bedeutete das, sie musste so nah wie möglich an der Wahrheit dranbleiben.
12
Marie pfefferte ihre Handtasche neben die Kommode im Eingang, ging ins Wohnzimmer und schmiss sich erschöpft auf die Couch. Den ganzen Abend den Fragen ihrer Mutter auszuweichen, hatte sie an ihren Ausflug in den Kletterpark letzten Sommer erinnert. Sie war mehrmals kurz davor gewesen, vom Parcours abzustürzen, und hatte sich ständig mit ihrem Kapuzenpulli in der Aufhängung verhakt. Ihre Mutter rief das gleiche Gefühl hervor. Je mehr Marie das Gespräch von Karlo wegführen wollte, desto hartnäckiger fragte ihre Mutter nach und brachte sie ins Schlingern. Irgendwann gab sich Marie geschlagen und erzählte, wie sie Karlo kennengelernt hatte. Dabei verlegte sie die Mottoparty zwei Monate zurück und erzählte natürlich nicht, dass sie den schmucken Matrosen gleich am ersten Abend mit nach Hause genommen hatte. Mit mehr Details versorgt, war ihre Mutter selig und ließ sich leichter von ihrem Schwiegersohn in spe ablenken. Leider war das zweite Thema ihrer Wahl das bevorstehende Teamwochenende. Als ihre Mutter ankündigte, den Frischverliebten das große Zimmer mit dem Himmelbett zu reservieren, musste Marie zur nächsten Notlüge greifen. Karlo sei noch in der Probezeit und da würde eine Liaison mit einer Kollegin einen schlechten Eindruck machen. Ihre Mutter gab sich geschlagen, doch ihr „Lass mich mal machen“ ließ nichts Gutes erahnen.
Marie war zu aufgekratzt, um sofort ins Bett zu gehen. Sie schnappte sich ihren Laptop und fuhr ihn hoch. Diese Lügen waren ganz schön anstrengend. Wie brachten es andere Menschen bloß fertig, dauerhaft ein Doppelleben zu führen und sich nicht in ihren eigenen Geschichten zu verstricken? Marie würde dabei ihr miserables Erinnerungsvermögen in die Quere kommen. Oft genug vergaß sie etwas, das sie tatsächlich erlebt hatte. Wie sollte das erst mit den Dingen werden, die sie sich ausgedacht hatte? Sie musste sich unbedingt Stichpunkte machen und einen Plan ausarbeiten, wie sie ihrer Mutter die Trennung verkaufen konnte.
Marie öffnete ein Dokument und schrieb „Impotenz". Das fand sie immer noch gut und am liebsten hätte sie Karlo dieses Leiden wirklich an den Hals gehext – mit dem positiven Nebeneffekt, dass die Frauen aus ganz Stuttgart vor Karlo sicher wären. Aber es konnte bestimmt nicht schaden, ein paar Alternativen durchzuspielen. Marie tippte: Kinderhasser, Mamasöhnchen, Karrierist. Sie dachte alle Optionen durch, doch nichts würde vor ihrer Mutter bestehen. Für Impotenz gab es ja heutzutage Pillen. Kinderhasser brachte man mit Kindern zusammen, so die Logik ihrer Mutter, und sie würden sich zu Superpapis entwickeln. Karrieremenschen lockte man nur regelmäßig genug in die Natur, Mamasöhnchen würde sie sich selbst
Weitere Kostenlose Bücher