Verplant verliebt
überall auflauerten. Außerdem war da dieses Tattoo. Marie hätte zu gerne gewusst, was der Anker zu bedeuten hatte, doch sie musste zugeben, er entstellte Karlo nicht wirklich. Sie suchte nach weiteren Dingen, die sein Aussehen schmälerten, fand aber nichts. Es blieb also beim Plus in dieser Kategorie. Dann war er Gelegenheitsraucher, immerhin hatte er mit der Studentin geraucht. Marie notierte ein Minus. Gleich danach folgte noch ein dickes Minus für „Kollege“. Jetzt die Frage nach Karlos Einstellung zum Job. War er ein Karrieremensch oder wusste er, was wirklich zählte im Leben? Das konnte Marie nicht beantworten. Null also. Der nächste Punkt beschäftigte Marie am längsten: Ist Karlo ehrlich? Sie wusste es nicht. Es gab Momente, in denen er sehr authentisch wirkte, sie mit ihm lachen konnte, in denen sie keinen Zweifel an seiner Ehrlichkeit hatte. Doch Marie wusste bis heute nicht, ob er bei ihrem Kennenlernen tatsächlich keine Ahnung davon gehabt hatte, dass sie Kollegen werden würden. Marie hatte oft den Eindruck, dass er es mit den Frauen nicht allzu ernst nahm. Er ging nur zu gern auf die Flirtversuche von Kolleginnen ein. Je länger Marie nachdachte, desto mehr musste sie sich eingestehen, dass sie nur wenig Persönliches von Karlo wusste. Er lebte in Killesberg mit Gregor in einer Männer-WG, was eigentlich alles sagte. Er machte gerne Sport. Er kam aus Hamburg. Doch von seinem Leben vor Stuttgart wusste sie kaum etwas.
Es klingelte an der Tür. Das musste Paula sein, die zum Kochen vorbeikommen wollte. Marie brauchte dringend etwas Trost, wie ihn nur gemeinsame Kochabende mit Paula spenden konnten. Kochen nach Anleitung hatte für Marie etwas Beruhigendes. In einem Rezeptbuch stand Schritt für Schritt, was sie zu tun hatte. Konnte es so etwas nicht auch für ihr Leben geben? Zuerst nehmen Sie einen Fleischklopfer und schlagen Karlo Winterfeld, bis er weich ist. Dann wenden Sie ihn in Ei und Semmelbröseln und braten ihn mit Butter goldbraun an.
„Na, was ist los, Süße?“ Paula stürmte breit grinsend zur Tür herein.
Marie ahnte, woher ihre gute Laune kam. „Soll ich dir etwas abnehmen? Die Einkaufstüte? Deine Jacke? Oder vielleicht dein verliebtes Grinsen?“
„Du könntest mit der Einkaufstüte anfangen, danke. Außerdem ist das kein verliebtes Grinsen, sondern das Grinsen danach. Ist alles ganz zwanglos.“
Wer's glaubt, dachte Marie. Sie nahm Paula die Tasche ab, spähte hinein und entdeckte Avocados, Reisessig und eine Packung eingelegten Ingwer. Sie wollten heute Sushi machen.
„Du glaubst es nicht! Karlo und Gregor wohnen in einem derart protzigen Loft und das auch noch im Bonzen-Killesberg“, schnatterte Paula los, während sie in die Küche lief. „Und weißt du wie sie das Ding nennen? Habichthorst.“
Marie sah Paula fragend an.
„Naja, sie sehen sich als Habichte, die von weit oben auf die Stadt blicken, auf ihr Jagdrevier“, erklärte Paula.
Also doch Frauenheld! Marie machte im Kopf ein dickes Minus bei „Ehrlichkeit“. Wie hatte sie sich auch nur eine Sekunde lang einbilden können, dass sie etwas Besonderes für ihn war?
Paula streckte einen Zeigefinger in die Luft und sagte: „Ich habe Gregor auf jeden Fall klar gemacht, dass da keine Beziehung drin ist.“
Na, das wird ihn ja getroffen haben, dachte Marie. Wo Gregor doch nach der Liebe seines Lebens Ausschau hielt.
Ihr Geschäftshandy klingelte und Marie warf einen Blick auf das Display. Schon wieder Karlo. Er hatte ihr am Nachmittag eine Nachricht hinterlassen: Er müsse dringend mit ihr sprechen. Marie konnte sich denken, worüber. Nein danke, kein Interesse. Sollte er von seinem Habichthorst doch weiter Ausschau nach Beute halten. Sie jedenfalls war von der Speisekarte gestrichen.
Paula schielte auf das Handy. „Das ist Karlo. Willst du nicht rangehen?“
„Nein.“ Marie öffnete die Plastiktüte mit dem Reis. „Lies mal bitte vor, wie viel Gramm wir davon brauchen.“
Paula zog die Augenbrauen hoch. „Wenn das mit euch beiden so weitergeht, brauchst du bald eine zweite Gefriertruhe. So viel können wir gar nicht essen, wie wir seit Karlos Auftauchen produzieren.“
Marie wusste, dass Paula recht hatte. Das musste ein Ende haben. Aber jetzt wollte sie kochen. „Sushi können wir sowieso nicht einfrieren. Also wie viel Gramm Reis, bitte?“
Paula riss ihr die Tüte aus der Hand und schüttete die Reiskörner nach Gutdünken in die Wasserschüssel. „So viel.“
24
Karlo hörte
Weitere Kostenlose Bücher