Verplant verliebt
Gregor laut hinter sich schnaufen, als sie die letzten Meter zu JCN bergauf fuhren. Gregor hatte gestern verkündet, ein besserer Mensch werden zu wollen. Das hieß für ihn im Klartext: mehr Sport, gesündere Ernährung, früher Feierabend und vor allem keine inhaltslosen Verabredungen mehr. Er wollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Genau genommen hatte er gesagt: „Warum soll ich immer mit unterschiedlichen Mädels in die Kiste hüpfen? Paula sieht monstermäßig gut aus, ist lustig und – jetzt kommt das Beste: Sie will keine Beziehung. Das bedeutet regelmäßigen Sex ohne die ganze Romantiknummer vorneweg. Alter, wie geil ist das denn?“
Karlo musste zugeben, dass dieses Arrangement verlockend klang. Aber er fragte sich, warum es mit lebensverändernden Maßnahmen einhergehen musste? Wenn sich der alte Schwerenöter Gregor da mal nicht ernsthaft verliebt hatte. Es wäre das erste Mal, soweit Karlo wusste. Während des Studiums war Gregor von Kommilitonin zu Kommilitonin gewandert und auch danach hatte er nicht eine einzige ernsthafte Beziehung gehabt.
Doch selbst wenn Karlo gut fand, dass Gregor gerade die Vorteile der Monogamie entdeckte, bedeutete das leider auch, dass sie ausgerechnet heute eine Stunde später zur Arbeit kommen würden. Gregor hatte erst getrödelt, dann aber darauf bestanden, gemeinsam mit Karlo zur Arbeit zu fahren. Nun schlich er auch noch hinter ihm her. Dabei hatte es Karlo heute besonders eilig, ins Büro zu kommen. Er hatte keine Ahnung, wann die Königin gedachte, ihre Nachfolge zu verkünden. Klar war nur, dass er Marie vorher abfangen musste, um es ihr persönlich zu sagen.
Als Karlo im Büro ankam, saß Marie bereits auf ihrem Platz. Ohne seine Jacke auszuziehen, ging er zu ihr. „Guten Morgen, Marie.“
Marie sah kurz zu ihm auf, stieß ein geschäftiges „Morgen“ aus und richtete ihren Blick gleich wieder auf den Papierstapel, der neben ihrer Tastatur lag.
„Hast du mal ein paar Minuten?“
Marie sortierte die Blätter und klopfte sie auf der Tischplatte zurecht. Dann stand sie auf. „Gerade ist es schlecht. Ich habe gleich einen Termin.“
Karlo fragte sich, welchen Termin sie wohl haben könnte. Marie deutete seinen Blick richtig und fügte ungeduldig hinzu: „Ich habe in den vergangenen zwei Wochen fast nur für das Edelpartner-Projekt gearbeitet. Heute muss ich mich dringend bei ein paar anderen Themen auf den aktuellen Stand bringen. Du entschuldigst mich bitte?“ Marie schob sich an ihm vorbei.
Karlo fuhr seinen Rechner hoch. Ein Blick in den Kalender verriet ihm, bis wann er Marie erwischen musste. Die Chefin hatte für halb elf eingeladen. Der Termin hieß „Personalankündigung“.
Karlo rümpfte die Nase, als ihn ein süßlich-schwerer Parfümduft umfing.
„Was die Königin wohl zu verkünden hat?“ Bernadette beugte sich von hinten über ihn und strich mit ihren grauenvoll pinken Fingernägeln über seinen Oberarm.
„Du wirst es bald herausfinden.“ Karlo schob ihre Hand unwirsch von seinem Arm.
Bernadette machte einen Schmollmund. „Ich hatte gehofft, du wüsstest mehr darüber.“
„Selbst wenn! Würde ich es dir sagen, könnte ich ja gleich einen Zettel ans Schwarze Brett pinnen. Ich muss arbeiten, Bernadette.“
Bernadette lächelte stolz. Sie schien den Seitenhieb als Anerkennung ihrer mitteilsamen Natur zu deuten. Gerade als Karlo Bernadette erneut zum Gehen auffordern wollte, kam Marie zurück. Sie kramte, ohne sich zu setzen, in ihrer Ablage.
Karlo nutzte die Chance: „Marie, hättest du jetzt fünf Minuten?“
Marie zog einen Ordner hervor und schüttelte den Kopf.
„Zeit, mit Marie zu reden, hast du also“, schmollte Bernadette.
„Bernadette!“ Karlo wies mit dem Zeigefinger auf ihren Platz. Gestik, wie man sie bei einem Hund anwandte, musste sie doch wenigstens verstehen. Tatsächlich: Sie zog ab.
Marie sah Karlo irritiert an. Dann lenkte sie ein: „Okay. Nach dem Meeting mit der Königin um halb zwölf ginge es.“
„Ich würde gerne vorher ...“
Doch weiter kam Karlo nicht. Sandra trat an den Tisch und fragte Marie: „Wollen wir?“
Marie nickte. Und dann war sie weg – und damit auch seine Chance, sie vorzuwarnen.
Karlo begann, lustlos im Internet zu surfen. An Arbeiten war gerade sowieso nicht zu denken, so kurz vor der Teamversammlung. Da fiel ihm Witchcraft ein. Sie beide hatten sich schon einige Zeit nicht mehr geschrieben, und Karlo konnte jetzt gut jemanden gebrauchen, der ihn verstand. Er
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