Verplant verliebt
Tage gewesen, an denen sie gemeinsam mit Hochdruck an dem Konzept für Edelpartner gearbeitet hatten. Die Tage, an denen sie sich im realen Leben wieder angenähert hatten.
Warum nur hatten sie beide weitergeschrieben, als das Konzept fertig war? Aus beruflicher Perspektive bestand dazu doch gar kein Anlass mehr. Karlo las weiter:
Was mich viel mehr beschäftigt, ist die Frage, ob deine Vorstellungen nicht von einem ganz konkreten Menschen beeinflusst werden, der dir mal sehr wichtig war. Ich mag mich irren, aber deine Antwort klingt viel zu konkret, um von einer Fantasieperson zu handeln. Und wenn ich richtig liege: Warum ist diese Person nicht mehr bei dir?
Marie hatte ins Schwarze getroffen und Karlo hatte ihr die Frage beantwortet. Karlo massierte seine Schläfen und las weiter. Der Tod von Tiziana, seine Autophobie, seine Eltern. Karlos Kopf brummte. Sie wusste alles, was er eigentlich in Hamburg hatte lassen wollen. Doch Marie reagierte nicht wie andere Frauen:
Das ist eine traurige Geschichte, aber du willst kein Mitleid, sondern Verständnis, und ich kann dir versichern, das hast du.
Ihre Worte beeindruckten Karlo noch immer. Auch Marie hatte sich ihm offenbart:
Mein letzter Freund hat sich hinter meinem Rücken online mit anderen Frauen verabredet. Ich war zu lange blind, wollte vielleicht auch gar nicht wissen, was da eigentlich vor sich ging, denn dann hätte ich mich ja von meinen Plänen verabschieden müssen. Ich wollte glauben, den perfekten Partner an meiner Seite zu haben, wollte ihn heiraten, mit ihm alt werden. Alles stand genau fest und Planabweichungen waren nicht vorgesehen. Doch die Planänderung kam – und er ging. Seither laufe ich mit der Angst durch das Leben, irgendwann wieder „die Naive“ zu sein. Ich beobachte meine Umwelt und suche ständig nach Fallen.
Karlo las den letzten Satz mehrere Male. Die Naive. Naiv war Marie ihm niemals vorgekommen, eher etwas zu misstrauisch. Karlo hatte das Gefühl, den Schlüssel zu Maries Verhalten in der Hand zu halten. Die Naive. Sie fühlte sich von ihm betrogen, als er sich an seinem ersten Arbeitstag als ihr Kollege entpuppte. Karlo fand ihre Reaktion damals vollkommen überzogen. Es hatte lange gedauert, bis sie ihm wieder vertraut hatte. Sie waren sich nähergekommen und hatten sich vor wenigen Tagen sogar geküsst. Und dann, ohne Vorwarnung, wurde er ihr Chef. Karlo las ihre letzte Mail noch einmal:
G ibt sich nach außen charmant und wickelt die weibliche Belegschaft, inklusive unserer Chefin, um den Finger. Gleichzeitig lügt er einem wie gedruckt ins Gesicht. Ich konnte ihn schon am ersten Arbeitstag nicht riechen.
Marie hatte ihm vertraut, und Karlo verstand nun, wie Maries Schlussfolgerung lauten musste: Er hatte ihr Vertrauen schon wieder missbraucht. Sie fühlte sich schon wieder naiv.
Dann fiel Karlos Blick auf den letzten Satz ihrer Mail: Ich werde gleich morgen meine erste Bewerbung schreiben. Er spürte plötzlich ein Gefühl von Verlust. Marie durfte nicht kündigen. Sie musste bei JCN bleiben. Als Kollegen passten sie beide mittlerweile perfekt zusammen und er wollte als künftiger Abteilungsleiter nicht auf ihre Fähigkeiten verzichten. Selbst ihre Streitsucht würde ihm fehlen, genau wie ihre Sommersprossen, ihr Lachen und ein bisschen auch ihre Familie. Wenn Karlo ehrlich mit sich war, wollte er Marie nicht nur in seinem Team, sondern auch in seinem Leben behalten, und wenn es nur war, um weiter mit ihr zu streiten. Er sah nachdenklich aus dem Fenster und beobachtete, wie die Dämmerung langsam einsetzte. Karlo war sich sicher gewesen, dass ihm keine Frau je wieder so unter die Haut gehen würde wie Tiziana. Da hatte er sich wohl geirrt.
26
Marie schmiss die Tür hinter sich zu, warf ihre Jacke auf die Kommode und ging in die Küche, wo sie eine Dose Katzenfutter aus dem Schrank nahm.
„Simba, Essen fassen.“
Marie knallte die Dose lauter als nötig auf die Arbeitsplatte und öffnete den Deckel. Sie konnte nicht glauben, dass Karlo nun tatsächlich die neue Königin sein sollte. Ihr Vorgesetzter. Derjenige, der sagte, wo es langging.
„Miez, Miez.“
Marie kippte das Futter in Simbas Napf und rief noch einmal nach ihr: „Komm, meine Süße.“
Nichts rührte sich. Sonst begrüßte ihre verfressene Katze sie schon ungeduldig an der Wohnungstür und wich ihr nicht von der Seite, bis sie etwas Essbares im Napf hatte.
„Simba?“
Marie beschlich ein ungutes Gefühl und sie
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