Verplant verliebt
später mit der Wahrheit herausrücken müssen. Marie würde schnell eins und eins zusammenzählen.
Noch eine andere Aussöhnung lag Karlo am Herzen: die mit seiner Familie. Der Rebmann-Klan hatte ihm gezeigt, dass man in schweren Zeiten lieber auf seine Familie bauen sollte als sie einfach beiseite zu schieben. Das begriff Karlo nun. Er spürte plötzlich den dringenden Wunsch, seine Eltern anzurufen. Bevor er es sich anders überlegen konnte, griff er nach seinem Smartphone.
Seine Mutter schien Karlos Namen auf dem Display angezeigt zu bekommen, denn sie meldete sich mit „Ole?“. In ihrer Stimme schwangen Sorge und Überraschung mit, so als würde sie erwarten, dass er wegen schlechter Nachrichten anrief.
„Hallo Mutter“, sagte Karlo um einen sorglosen Ton bemüht. „Ich dachte, ich melde mich mal wieder.“
„Oh, das ist schön! Das freut mich.“ Nun hellte sich auch ihre Stimme auf. Dennoch sprach sie nur zögernd weiter, so als könnte das Gespräch wegen eines falschen Wortes abbrechen. „Wie geht es dir? Wie gefällt es dir in Stuttgart?“
Karlo lieferte eine Kurzfassung der vergangenen Wochen, stets auf einen Plauderton bedacht. Mit kleinen Anekdoten über die schwäbischen Spracheigenheiten brachte er sie sogar zum Lachen und das Gespräch entspannte sich allmählich. Auch Karlo wurde ruhiger. Es war schließlich ganz normal, seine Mutter an einem Donnerstagabend anzurufen.
„Wann kommt ihr mich mal in Stuttgart besuchen?“
Stille in der Leitung.
„Wir sollen dich besuchen?“, platzte es aus seiner Mutter heraus.
Karlo antwortete fast belustigt: „Klar.“ Das Normalste der Welt. Eltern besuchen ihre Kinder.
Nun wurde es hektisch auf der anderen Seite: „Karl? Karl?“ Karlo hörte Schritte und sah vor sich, wie seine Mutter den mit Marmor bedeckten Flur zum Arbeitszimmer seines Vaters entlangeilte. Dabei sagte sie: „Ole, warte mal kurz.“ Er hörte, wie sich seine Eltern aufgeregt besprachen, ohne dass er verstand, was sie sagten.
Dann meldete sich seine Mutter mit fast kindlichem Enthusiasmus: „Dein Vater ist kommende Woche bei einem Geschäftspartner im Süden. Würde Mittwoch passen? Er könnte mich mitnehmen.“
So aufgeregt kannte Karlo seine Mutter gar nicht. Sie war sonst stets um Contenance bemüht. Karlo war sich fast sicher, dass er Mittwoch noch nichts vorhatte, öffnete aber trotzdem seinen Kalender, um noch mal nachzuschauen.
Seine Mutter deutete sein Zögern falsch: „Ist das zu schnell? Sonst kommen wir später mal.“
Karlo beeilte sich, den Termin zu bestätigen, und gab seiner Mutter die Adresse durch. Sie versicherte, selbstverständlich ins Hotel zu gehen. Karlo konnte sich seine Eltern auch wirklich nicht im Gästezimmer ihres Männer-Lofts vorstellen, bestand aber darauf, dass sie sich die Wohnung zumindest ansehen sollten.
Nachdem Karlo aufgelegt hatte, erfüllte ihn eine eigenartige Zufriedenheit. Als Tiziana noch lebte, war die Beziehung zu ihrer quirligen italienischen Familie immer tiefer gewesen als die zu seinen Eltern. Zwar waren Treffen mit Tizianas Angehörigen nicht oft zustande gekommen, weil sie einfach zu weit weg lebten, aber sie hatten viel häufiger miteinander telefoniert, als dass Karlo seine Eltern besuchte. Als es ihm nach Tizianas Tod elend gegangen war, hatte er keinen Grund gesehen, seine Trauer mit seinen Eltern zu teilen. Doch jetzt hatte Karlo das Bedürfnis, ihnen näherzukommen, sie besser kennenzulernen. Das war auch Maries Verdienst.
Marie! Karlo fiel ihre letzte Mail ein. Er musste ihr antworten. Oder sollte er sich einfach stumm stellen? Nein, das wäre definitiv nicht die feine Art. Er nahm sein Tablet zur Hand und tippte los. Fünf Versionen und eine halbe Stunde später schickte Karlo seine Antwort ab.
Liebe Marie,
wir haben uns viel voneinander erzählt und ich habe mir sehr zu Herzen genommen, was du mir gesagt hast. Dafür möchte ich dir danken. Dennoch glaube ich, dass wir unseren Kontakt einstellen sollten. Ich habe offline eine Frau kennengelernt und mich in sie verliebt. Ich möchte meine Gefühle und Gedanken nun mit ihr teilen. Es wäre dir und ihr gegenüber nicht fair, wenn wir unseren Mailkontakt unter diesen Umständen aufrechterhielten.
Danke für alles. Ich wünsche dir, dass du den Richtigen erkennst, wenn er vor dir steht!
Lieber Gruß
Ole
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Marie hatte am Morgen lange vor ihrem Kleiderschrank gestanden, verschiedene Röcke, Kleider und Blusen anprobiert und die meisten sofort
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