Verrat im Zunfthaus
lange Weile schwieg.
«Ich weiß es nicht. Vielleicht hatte Avarus ja etwas damit zu tun. Aber nicht Bela.»
«Aber sie wurde zuerst ermordet», kam plötzlich eine Stimme von der Tür her.
Die beiden Frauen fuhren herum und sahen sich Meister Jupp gegenüber, der das Glöckchen, das sonst Besucher ankündigte, in der Hand hielt. Er lächelte Adelina und Marie freundlich zu. «Ich habe sie repariert.» Er hielt die Glocke hoch und befestigte sie dann wieder an der Tür.
Adelina hob verwundert die Brauen. «Ich wusste nicht, dass sie kaputt war.»
«Euer Bruder hat sie heute Morgen heruntergeworfen. Dabei ist der Klöppel abgebrochen. Ich war so frei, ihn wieder zu befestigen.» Er schloss die Tür und trat an den Tresen, neben dem die beiden Frauen saßen. Sein Blick ruhte nun sehr intensiv auf Marie. «Wie ich schon sagte, Eure Schwester wurde zuerst ermordet. Verzeiht, wenn ich mich in Euer Gespräch einmische, aber ich finde,dieser Umstand ist sehr wichtig. Wenn nur Avarus diese Steine geschmuggelt hätte, wäre auf Bela kein Verdacht gefallen, und es hätte keinen Grund gegeben, sie zuerst zu töten und ihr, ebenfalls zuerst, den Leib aufzuschlitzen. Aber soweit ich es verstanden habe, wurde sie schon vor ein paar Tagen gefunden und noch dazu an einem Ort, zu dem man sie sicherlich mit voller Absicht bestellt hatte. Oder ging sie oft des Nachts ins Gaffelhaus?» Seine Stimme klang sanft, doch verbarg sich darunter eine unterschwellige Schärfe, die Adelina aufhorchen ließ.
Marie hatte den Blick wieder auf den Becher gesenkt und antwortete zunächst nicht. Erst als Adelina sagte: «Er hat recht, Jungfer Marie!», sah sie wieder hoch.
«Mag sein … mag sein, wenn Ihr es so seht. Aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen, versteht Ihr? Bela eine Verräterin?»
«Hatte sie großen Einfluss auf Meister Vetscholder?», hakte Adelina nun nach.
Wieder schwieg Marie lange, dann ließ sie plötzlich die Schultern sinken. «Ja, sie hatte großen Einfluss auf ihn. Sie war schon immer sehr bestimmend, schon als Kind hat sie es geliebt, über uns jüngere Geschwister zu verfügen, als seien wir ihre Dienstboten. Aber sie meinte es nie böse.»
«Das tat sie auch dieses Mal vermutlich nicht», gab Meister Jupp zu bedenken. «Wenn sie mit Walter von der Weiden sympathisierte, hielt sie ihr Handeln wahrscheinlich schlicht und ergreifend für das einzig richtige – ganz im Dienste der Stadt Köln.»
Adelina sah verblüfft zu ihm auf.
Er lächelte. «Neklas hat mir gestern von der Sache berichtet.»
«Ihr wisst also alles?» Maries Miene zeigte deutlich, dass ihr diese Tatsache gar nicht recht war. «Und wie kommt Ihr dazu, Euch einzumischen?»
«Ich fürchte, dass Ihr in Gefahr seid.»
Marie klappte die Kinnlade herunter, und auch Adelina machte große Augen.
Meister Jupp verschränkte die Arme vor der Brust. «Ihr seid Belas Schwester. Wenn ihr Einfluss auf ihren Verlobten schon so groß war, wie immens muss er dann erst auf Euch gewesen sein?»
«Aber …»
«Denkt einmal darüber nach, Jungfer Marie. Und dann tut Euch selbst einen Gefallen und sagt es, wenn Ihr etwas wisst.»
«Ich …»
«Ihr seid gewiss nicht so einfältig, wie Ihr den Anschein zu geben versucht.»
«Meister Jupp!», protestierte Adelina. Doch er schüttelte nur den Kopf und fixierte Marie.
«Es ist gut möglich, dass Eure Schwester und ihr Verlobter die Opfer eines Femegerichts geworden sind.»
«Das wisst Ihr auch schon?», entfuhr es Adelina.
Meister Jupp sah sie jedoch nur kurz an und redete weiter auf Marie ein: «Wenn sie Euch ebenfalls verdächtigen, könnte Euch das gleiche Schicksal widerfahren.»
«Nein!» Marie wurde blass und starrte ihn entsetzt an. «Nicht die Feme. Das kann nicht sein!»
«Warum nicht?»
«Ihr seid verrückt geworden! Niemals hat die Feme meine Schwester umgebracht. Niemals, hört Ihr?» Sie stand abrupt auf, stellte den Becher so heftig auf dem Tresen ab, dass der Wein über den Rand schwappte,und eilte zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. «Ihr … Ihr seid verrückt!»
«Wenn Ihr etwas wisst und es verschweigt …»
Doch sie riss bereits die Tür auf und rannte beinahe davon.
Adelina blickte ihr einen Moment lang sprachlos hinterher. Dann stand sie ebenfalls auf. «Meister Jupp, was sollte das? Warum habt Ihr Jungfer Marie eine solche Angst eingejagt?»
Er sah sie ruhig an. «Ich habe nur ausgesprochen, was sie vermutlich längst selbst befürchtet hat.»
«Sie wollte mir
Weitere Kostenlose Bücher