Verrat im Zunfthaus
nicht mehr? Colin ist mein Sohn.»
«Du hast einen Sohn?» Albert kniff kurz die Augen zusammen und betrachtete dann den Säugling. «Davon hast du mir gar nichts erzählt. Oder …» Er kratzte sich am Kopf und fuhr sich dann mit den Fingern durch den grauen Bart. «Wahrscheinlich hast du mir doch von ihm erzählt. Aber ich kann mich nicht erinnern. Wie ist sein Name? Colin? Sehr ungewöhnlich.»
«Eine andere Form von Nikolaus», erklärte Adelina. «Genau wie Neklas, verstehst du? So haben Vater und Sohn den gleichen Namenspatron.»
«Ah, der barmherzige Nikolaus. Ein guter Name. Lass mich ihn einmal halten.»
Adelina warf Magda, die gerade mit dem nassen Umschlag zu ihnen trat, einen bedeutungsvollen Blick zu.
«Ich pass schon auf», flüsterte die Magd.
Adelina legte ihrem Vater den Säugling in die Armbeuge und machte einen Schritt in Richtung Tür. Dort warfsie noch einen kurzen Blick zurück und ging dann in die Apotheke.
«Also, Mira, dieses Päckchen …»
«Da war noch Besuch für Euch», begann Mira gleichzeitig.
«Besuch?»
«Diese Marie Elfge hat nach Euch gefragt. Ich hab gesagt, Ihr wäret im Rathaus und bald wieder da. Aber sie wollte nicht warten. Sie meinte, sie würde zur Beerdigung gehen und dann vielleicht noch einmal wiederkommen.»
«Meister Vetscholders Beerdigung?»
«Weiß ich nicht.» Mira zuckte mit den Schultern.
«Ist die Beerdigung etwa schon heute? Warum hat mir niemand Bescheid gesagt?» Adelina verzog das Gesicht. «Mira, geh hinauf und zieh dein bestes Kleid an. Wir müssen in die Kirche.»
«Und die Apotheke?»
«Bleibt heute geschlossen.»
***
Es war bereits früher Nachmittag, als Adelina, Mira und Franziska von der Beerdigung des Zunftmeisters zurückkehrten. Zu Hause empfing sie ein empört schreiender Colin. Adelina nahm ihn wortlos mit hinauf in ihre Kammer, ohne auf die fragenden Blicke ihrer Schwiegermutter und deren Schwester einzugehen.
Hinter ihren Schläfen pochte es, und kaum war sie den Blicken der anderen entschwunden, riss sie sich die verschwitzte Haube vom Kopf. Aufatmend ließ sie sich aufs Bett sinken und legte ihren Sohn an. Ihr schlechtesGewissen ihm gegenüber hatte ihr mindestens ebenso zu schaffen gemacht wie die schwüle Hitze.
Genau diese Hitze war auch der Grund für die übereilte Beerdigung gewesen. Die Zunft hatte nicht das Risiko eingehen wollen, einen stinkenden, von Maden zerfressenen Leichnam zu Grabe tragen zu müssen. Einem Zunftmeister musste das letzte Geleit in angemessener Form zuteil werden, ganz gleich, ob er im Verdacht des Hochverrats stand oder nicht.
Adelina hatte gehofft, ein paar Worte mit Marie wechseln zu können, doch diese war ständig von ihrer eigenen oder der Familie des Verstorbenen umringt gewesen und hatte sie vermutlich gar nicht bemerkt.
Zärtlich streichelte Adelina Colin über die Wange, die von der Anstrengung des Schreiens noch leicht gerötet war. «Ich sollte mich aus dieser Sache heraushalten», murmelte sie. «Es nimmt bestimmt kein gutes Ende. Denn wenn Marie in diese Geschichte verwickelt ist, droht ihr die Hinrichtung. Doch falls nicht …» Sie blickte zum Fenster, durch das grelles Sonnenlicht in die Kammer fiel. «Falls nicht, könnte sie dennoch in Gefahr schweben! Sie könnte …»
«Nanu? Hältst du unserem Sohn schon in diesem frühen Alter Vorträge?» Neklas war unbemerkt hereingekommen und ließ sich neben Adelina nieder. «Wie war die Beerdigung?»
«Scheußlich. Was hast du wegen Thomasius unternommen?»
«Nichts, leider. Im Kloster der Dominikaner war er nicht, angeblich zieht er durch die Stadt, um zu predigen. Ich konnte ihn aber nicht finden.» Neklas’ Ton verriet, wie unzufrieden er damit war. Er rutschte ein Stück zurSeite, sodass er die Füße hochlegen konnte, und lehnte seinen Kopf gegen das Kopfteil des Bettes. «Dafür bin ich Reese noch einmal begegnet. Er ist schon recht früh von der Beerdigung fort, weil er eine Nachricht vom Erzbischof erhalten hat.»
«Du musst nach Bonn?» Sie sah ihn unbehaglich von der Seite an.
Neklas nickte. «Ich reite noch heute Nachmittag, aber es wird nicht lange dauern. Vielleicht ein oder zwei Tage.» Er fuhr Colin sanft mit der Fingerspitze über die Stirn. «Bislang steht Marie noch nicht unter Verdacht. Reese konnte kurz mit ihr sprechen und besteht weiter auf ihrer Unschuld. Dennoch … Adelina?»
«Hm?»
«Wenn sie hier auftaucht, solltest du versuchen, sie zum Reden zu bringen.»
«Ich soll mich also doch
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