Verrat im Zunfthaus
dem Gebende ihrer Haube. «Wir haben noch ein anderes Problem», sagte sie und sah Neklas an. «Griet hat sich wieder am Handgelenk verletzt. Und gestern …» Sie stockte und spürte erneut den Zorn in sich aufsteigen. «Gestern ist sie ins Wasser gesprungen.»
«Bitte was?» Entsetzt starrte Neklas sie an.
«Sie ist ins Wasser gesprungen, am Mühlbach, dort wo das Auffangbecken des Mühlrades …»
«Sie wollte sich ertränken?» Neklas war bleich geworden und mitten auf dem Alter Markt stehen geblieben. Ein Bauer, der eine Ziege am Strick mit sich führte, rempelte ihn an, entschuldigte sich jedoch sogleich wortreich.
Adelina nahm Neklas’ Hand und zog ihn mit sich bis vor die Apotheke. «Ich glaube nicht. Ich denke … ich fürchte … Sie wollte sich verstecken.»
«Im Wasser?» Neklas blickte sie an, als habe sie den Verstand verloren.
Doch Adelina nickte nachdrücklich. «Sie hatte Angst. Ich … also ich war ja nicht dabei, aber Franziska und Ludowig. Und was sie mir erzählt haben … Neklas, ich denke, Bruder Thomasius hat ihr Angst gemacht, und das nicht zum ersten Mal. Neulich ist sie mir sogar davongelaufen, als er auf uns zu kam. Wahrscheinlich wollte sie gestern vor ihm fliehen und sah keinen anderen Ausweg, als ins Wasser zu springen. Gottlob konnte Ludowig sie herausziehen. Er sagt aber, Thomasius habe ihm dabei geholfen.»
«Das ist doch verrückt!»
«Und sie hat wieder ihr Bettlaken eingenässt, Neklas. Wir müssen etwas tun, verstehst du?»
«Und wie ich das verstehe. Dieser Mistkerl macht sich jetzt also an Griet heran? Reicht es nicht, dass er mir das Leben schwer macht?» Er ballte die Hände zu Fäusten. «Ich gehe zu ihm. Ich hole ihn aus seinem verdammten Kloster heraus und stelle ihn zur Rede!» Seine Stimme wurde immer lauter. Adelina sah sich um und bemerkte die ersten neugierigen Blicke der Kaufleute, die in der Nähe ihre Stände hatten. Eilig öffnete sie die Haustür und zog Neklas am Ärmel mit hinein. «Ich wollte dich auch bitten, zu ihm zu gehen», sagte sie, nachdem die Tür hinter ihnen zugefallen war. «Können wir denn nichts tun, um ihn loszuwerden?»
«Doch», knurrte Neklas. «Eine Möglichkeit gibt es.»
«Hast du etwas gegen ihn in der Hand?»
«Und wie ich das habe.» Neklas blickte sie mit finsterer Miene an. «Und wie ich das habe! Entschuldige mich, ich muss zu Jupp. Warte nicht auf mich.» Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Apotheke. Adelina sah ihm mit gemischten Gefühlen durch das Fenster nach,wie er nach nebenan ging. Was mochte er vorhaben? Doch bevor sie sich weitere Gedanken darüber machen konnte, hörte sie hinter sich Schritte.
«Meisterin?» Mira war gerade dabei, sich eine Schürze umzubinden. «Gut, dass Ihr kommt. Da war ein Bote und hat ein Päckchen gebracht. Aber es war niemand da, deshalb habe ich es angenommen.»
«Ein Päckchen?»
«Es liegt oben im Regal. Vitus wollte es schon aufmachen, da habe ich es hinter dem Tiegel mit der Gänseschmalzsalbe versteckt.»
«Gut, gib es mir.»
«Es ist aber …»
In diesem Moment schepperte etwas, und Moses begann zu bellen.
Alarmiert schob Adelina ihr Lehrmädchen beiseite und eilte in den Flur.
«O Herrin, Herrin!» Magda kniete neben Adelinas Vater, der vor der Küchentür lag und ächzend versuchte aufzustehen. «Er ist wieder alleine aufgestanden, ich hab’s gar nicht bemerkt. Aber ich hatte doch den Eimer hier stehen, und er ist darüber gestürzt!»
«Du liebe Zeit, Vater!» Gemeinsam mit der Magd brachte Adelina Albert wieder auf die Beine. «Tut dir etwas weh? Soll ich Meister Jupp holen?»
«Wen?» Albert sah sie irritiert an.
«Meister Jupp, den Chirurgen.»
«Nein, nein, Mädchen. Ist nur das Knie. Und meine Hand.» Er rieb sich über den linken Handballen, der aufgeschrammt war.
Adelina besah sich die Verletzung und führte Albert dann zur Ofenbank in der Küche. «Setz dich hierher,Vater. Magda macht dir einen kühlenden Umschlag.» Sie sah ihn streng an. «Du sollst doch nach jemandem rufen, wenn du aufstehen willst. Du bist noch immer sehr schwach auf den Beinen, Vater.»
«Schwach und unnütz wie ein Paar zerschlissener Schuhe bin ich.»
«Ach, Vater.» Betroffen ließ Adelina die Schultern hängen.
«Lass mich ein Weilchen hier sitzen, mein Kind. Was ist das dort für eine Wiege?»
Sie sah zu Colins Bettchen hin. Ihr Sohn war wach und sah sie aus seinen großen blauen Augen neugierig an, als sie ihn hochhob. «Das ist Colins Wiege, Vater. Weißt du
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