Verrat im Zunfthaus
armen Erdenwurms erleichtert und der Makel ihrer unehelichen Geburt, wenn auch nicht getilgt, so doch wenigstens gemildert. Der Herr», wieder bekreuzigte er sich, «wird es Euch vergelten. Vermutlich war es auch damals Eure Herzensgüte, die Euch veranlasste, einem Ketzer Unterschlupf und Heim zu gewähren.»
«Meine Herzensgüte?» Adelina sah ihn überrascht an.
Zum ersten Mal, seit sie Thomasius kannte, sah sie ihn freimütig lächeln. «Meine Tochter, glaubt nicht, dass ich nicht genau wüsste, welch löbliche und hehre Beweggründe Euer Herz und Eure Taten führen. Wenn auch Euer Urteilsvermögen darüber, wem Ihr Eure Zuneigung und Hilfe zugesteht, meiner Meinung nach sehr zu wünschen übrig lässt. Doch will mir scheinen, Euer guter Einfluss färbt sogar auf die übelsten Charaktere ab. Und dem Herrn ist ein bekehrter Sünder, der fortan ein gottgefälliges Leben führt, allemal lieber als ein toter.»
Adelina klappte die Kinnlade herab. Sie wollte etwas sagen, musste sich aber erst räuspern, um ihre Stimme wiederzufinden. «Wollt Ihr mir etwa sagen, Ihr habet Neklas verziehen?»
«Nun, sagen wir, ich behalte ihn im Auge.» Thomasius faltete die Hände vor dem Bauch. «Doch es scheint mir, als habe er bei Euch einen Ort gefunden, an dem er auf den rechten Weg zurückfindet.»
Adelina dachte daran, dass Neklas vielleicht gerade in diesem Moment vor den Erzbischof trat und ihm über die Ergebnisse der Leichenöffnung und seine Schlüsse daraus Bericht erstattete. Offenbar war diese Tatsache noch nicht bis zu Thomasius vorgedrungen, oder aber er beugte sich dem Willen des Erzbischofs, der schließlich seine Einwilligung zu der Sektion gegeben hatte. Ihm würde Thomasius vermutlich nicht widersprechen.
«Was ist nun am Mühlbach geschehen?», brachte Adelina den Mönch wieder auf ihre ursprüngliche Frage.
Thomasius’ Miene wurde sofort wieder ernst. «Ihr solltet auf das Kind besser Acht geben. Es hat ein hübsches Gesichtchen. Ich kam zufällig an der Mühle vorbei, alsich einer Gestalt in einem schmutzigen grauen Umhang gewahr wurde, die in der Nähe des Baches herumlungerte. Da ich die beiden Mädchen erkannte, behielt ich den Mann im Auge, aber er schien nur zu ihnen hinzustarren. Als Eure Griet ihn zufällig sah, erschrak sie, das konnte ich genau erkennen. Sie wurde ganz weiß, und plötzlich sprang sie einfach in das Staubecken.» Thomasius schüttelte bei der Erinnerung den Kopf. «Wenn ich nicht zur Stelle gewesen wäre, hätte Euer Knecht sie vielleicht nicht rechtzeitig herausziehen können. Leider war der Fremde danach verschwunden.»
«Ein Fremder also?» Adelina blickte ihn skeptisch an. «Sie hat mir nichts von einem Mann mit grauem Umhang erzählt.»
Doch dann erinnerte sie sich an Griets Frage: «Gibt es eigentlich Geister?» Erschrocken schlug Adelina eine Hand vor den Mund.
«Gebt auf sie acht», wiederholte Thomasius ernst, jedoch weiterhin freundlich. «Es gibt Männer, die so einem kleinen Lockenschopf mehr abgewinnen, als Euch lieb sein kann.»
Damit nickte er ihr noch einmal huldvoll zu und ging seines Weges.
«Herrin?», fragte Franziska ängstlich.
Adelina blickte dem Mönch hinterher und ging dann ebenfalls weiter. «Komm mit, Franziska, ich muss nach Hause und nach Colin sehen, bevor ich Marie Elfge aufsuche.»
15
Vor der Apotheke wurde Adelina bereits erwartet. Eine Sänfte stand vor der Tür, und als sie daran vorbei zur Haustür gehen wollte, stiegen zwei dunkelgekleidete Männer aus und sprachen sie an. Einen von ihnen erkannte Adelina an seinen dünnen, im Nacken zusammengebundenen Haaren; es war Caspar, ein Schreiber, den sie vor längerer Zeit einmal im Rathaus gesehen hatte. Der andere, ein schmaler Mann mit schütterem braunem Haar und einem saubergestutzten Kinnbart, stellte sich als Eginhard Laufer, Gehilfe des Vogts, vor.
Als Adelina nach ihrem Begehr fragte, antwortete Caspar ihr: «Wir sind hier, um Euch im Auftrag des Vogtes einige Fragen zu stellen, Frau Meisterin. Wie wir erfuhren, hat sich der Gewaltrichter Reese an Euch gewandt, wohl weil Ihr Bela Elfge gefunden habt und die Gemahlin des Medicus seid, der die beiden Todesfälle der vergangenen Tage untersucht hat. Man sagt, Ihr hättet bereits einiges dazu herausgefunden …»
«Man?»
«… und diese Informationen solltet Ihr uns keineswegs vorenthalten. Auch wenn der Gewaltrichter meint, ihm gebühre es, diese Mordtaten aufzuklären. Der Vogt ist zuständig.» Caspar räusperte sich, und
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