Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
Vom Netzwerk:
Polizei anzeigen würde. Er hatte Sil zusammengeflickt. Das genügte ihr.
    »Es ist keine besonders schöne Geschichte«, sagte sie leise.
    Er wies mit dem Kinn auf Sil. »Das glaube ich dir aufs Wort.«
    Sie seufzte tief.
    »Sil hatte Ärger mit ein paar Leuten. Er ist heute Abend zu ihnen hingefahren. Ich wollte ihm helfen. Zumindest in seiner Nähe sein, falls etwas schiefgehen würde.«
    Sie schwieg für einen Augenblick. Sven stand noch immer in dieser abwehrenden Haltung da.
    »Ich habe herausgefunden, wo er hinwollte«, fuhr sie fort, »und bin ihm nachgefahren. Ich habe es gleich gefunden. Als ich reingegangen bin …«
    »Wo war das?«
    »In Almere, auf einem Betriebsgelände, in einer Art Lagerhalle.«
    Er nickte.
    »… bin ich erst mal eine ganze Weile draußen stehen geblieben und habe auf ihn gewartet. Aber er kam nicht wieder raus.«
    »Schöne Leibwache bist du«, bemerkte er. »Du hast also draußen gewartet.«
    Sie lächelte nicht. Als sie weitererzählte, zitterte ihre Stimme.
    »Irgendwann bin ich reingegangen. Ich wusste nicht, wo ich ihn suchen sollte. Es war stockdunkel. Ich kam in einen Gang. Da hörte ich jemanden reden. Eine Frau, sie klang wütend. Ich habe mich dicht an der Wand gehalten und bin leise in die Richtung geschlichen, aus der die Stimme kam.«
    Sie schwieg für einen Moment. In Wirklichkeit hatte sie zugesehen, wie Sil einen jungen Mann erschossen hatte. Aus nächster Nähe. Als der Schuss krachte, hatte sie sich geduckt. Sie hatte gesehen, wie er die Leiche des Jungen von der Tür weggezerrt hatte und hineingegangen war. Sie war fast verrückt geworden vor Nervosität. Sie hatte gewartet und gewartet. Aber er war nicht wieder herausgekommen. Schließlich hatte sie sich aus ihrem Versteck gewagt und war über den Zaun geklettert. Sie war in die Halle hineingegangen, ihre geladene und entsicherte Waffe am ausgestreckten Arm vor sich haltend. Sie hatte einen Blick auf die erste Leiche vermieden und war rasch daran vorbeigeeilt. Kalte Schauder waren ihr über den Rücken gelaufen. Als sie in dem Büro über die zweite Leiche stolperte, hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Aber auch diesmal hatte sie sich zusammengerissen.
    »Ich kam in einen großen Raum, eine Art Magazin«, fuhr sie fort. »Und da sah ich Sil. Er war gefesselt. Er sah furchtbar aus, Sven. Ich glaube, sie haben ihn gefoltert. Er hing ganz schlaff da, von oben bis unten voller Blut. Ein paar Meter von ihm entfernt, direkt vor mir, stand diese Frau. Sie zielte mit einer Pistole auf ihn. Sie wollte ihn erschießen.«
    Wieder schwieg sie für einen Moment. Sie holte tief Luft, um das Weinen zu unterdrücken.
    »Ja?«, fragte Sven. »Und dann?«
    »Und dann dachte ich an das, was du mir beigebracht hast. Einatmen, etwas ausatmen, festhalten, zielen, schießen.«
    Er stieß sich von dem Behandlungstisch ab.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe sie erschossen.«
    Jetzt schwieg Sven seinerseits. Mit offenem Mund sah er sie an.
    »Ich habe diese Frau erschossen, Sven, es ging nicht anders. Ich … Ich kann es immer noch nicht fassen. Aber sie wollte ihn töten, das habe ich ihr angesehen. Ich musste etwas unternehmen, sonst wäre Sil jetzt tot.«
    »Wie hast du es gemacht? Ich meine, womit?«
    »Sil hatte mir eine Pistole gegeben. Zur Sicherheit. Weil er glaubte, dass diese Leute es vielleicht auch auf mich abgesehen hatten.«
    Sven blickte sie entgeistert an.
    »Susan«, sagte er schließlich. »Du, ich und dein Freund da, wir sitzen bis zum Hals in der Scheiße.«

27
     
    Sven war nach Hause gegangen und wollte versuchen, noch ein bisschen zu schlafen. Susan hielt während der restlichen Nachtstunden bei Sil Wache. Hin und wieder nickte sie ein, schreckte nach kurzer Zeit auf und wurde von seinem regelmäßigen Atem wieder eingelullt. Durch die schmalen Ritzen der heruntergelassenen Jalousien sah sie, wie es draußen allmählich hell wurde, und schaute auf die Uhr über der Tür. Sieben Uhr. In einer Stunde würde sich dieser Raum mit kranken Haustieren und ihren Herrchen und Frauchen füllen. Sven konnte jeden Moment zurückkommen. Sie hatte bereits beschlossen, Sil mit nach Hause zu nehmen und nicht in das Ferienhaus zu bringen.
    Sie stand auf und reckte sich. Jeder Arm schien hundert Kilo zu wiegen und ihr Kopf das Doppelte. Sie spürte jetzt erst, wie erschöpft sie war. Sowohl körperlich als auch geistig. Zu Hause würde sie endlich schlafen können.
    Plötzlich hörte sie eine Stimme. Sils Stimme. Krächzend, ganz leise.

Weitere Kostenlose Bücher