Verr�ter wie wir
einem Vierertisch in der entlegensten Ecke, mit hängendem Kopf und einer Flasche Stolichnaya vor sich; und hinter ihm, stehend, ein hohläugiger Mensch mit langen Handgelenken und Philosophenschädel, der vorgeblich den Durchgang zur Küche bewacht. Emilio Dell’Oro raunt ihr ins Ohr, als würde er sie schon ein Leben lang kennen:
»Unser Freund Dima ist heute leider ein klein bisschen deprimiert, Gail. Sie wissen natürlich von der Tragödie, nicht wahr, dem Doppelbegräbnis in Moskau … seine liebsten Freunde von Wahnsinnigen niedergemetzelt … so etwas fordert seinen Tribut. Aber das sehen Sie ja selber.«
Ja, sie sieht es. Und fragt sich, wie viel von dem, was sie sieht, echt ist: ein Dima, der nicht lächelt, ja kaum eine Miene verzieht; ein in wodkagetränkte Melancholie versunkener Dima, der nicht aufsteht, als sie herankommen, sondern ihnen finster entgegenstiert aus dem Winkel, in den man ihn mit seinen beiden Aufpassern verbannt hat. Denn nun hat auch der blonde Niki neben dem PhilosophenschädelPosten bezogen, und es ist etwas Beklemmendes an der Art, wie die zwei Männer einander ignorieren und ihr ganzes Augenmerk auf ihren Gefangenen richten.
* * *
»Hierher, Professor. Könnt ihr nicht traun, diesem gottverdammten Emilio. Gail. Ich lieb Sie. Setzt euch zu mir her. Garçon! Champagner. Kobefleisch. Ici .«
Draußen auf dem Platz ist die Garde Républicaine wieder in Stellung gegangen. Federer und Söderling besteigen ein Podest, in Begleitung von André Agassi im Straßenanzug.
»Habt ihr geredet mit Armani-Gang da oben?«, erkundigt sich Dima verdrießlich. »Mögt ihr noch mehr treffen? Banker, Topanwälte, Steuerberater? Diese ganzen Typen, die die Welt in den Arsch ficken? Franzosen haben wir, Deutsche, Schweizer.« Er hebt den Kopf und ruft quer durch den Raum: »He, alle dem Professor hallo sagen! Denkt, ich brauch Schwuchteltennis, der Kerl! Und das ist Gail hier. Der Professor will Hochzeit machen mit ihr. Muss er fix machen, sonst sie macht Hochzeit mit Roger Federer, oder, Gail?«
»Ich glaube, ich bleibe doch bei Perry«, sagt Gail.
Hört irgendjemand in der Lounge zu? Die kalt blickenden jungen Männer am großen Tisch schon mal nicht, und auch nicht ihre Mädchen, die beim Klang von Dimas Stimme demonstrativ enger zusammenrücken. An den Tischen ganz in der Nähe reagiert ebenfalls niemand.
»Engländer haben wir auch da! Fairplay-Gentlemen. He, Bunny! Aubrey! Bunny, komm her! Bunny!« Keine Antwort. »Wisst ihr, was Bunny heißt? Karnickel! Verficktes Karnickel!«
Gail, die aufgeräumt den Kopf dreht, um mitlachen zu können,macht denn auch gleich einen pummeligen bärtigen Herrn mit Koteletten aus, und wenn sein Spitzname nicht ohnehin Bunny wäre, müsste man ihn so taufen. Aber nach einem Aubrey sucht sie vergebens, wenn es nicht der große, intelligent wirkende Brillenträger mit beginnender Glatze und leicht gebückter Haltung ist, der schnellen Schrittes der Tür zustrebt, Regenmantel überm Arm, als wäre ihm plötzlich eingefallen, dass gleich sein Zug geht.
Der aalglatte Emilio Dell’Oro mit dem prachtvollen Silberhaar hat den freien Platz auf Dimas anderer Seite eingenommen. Ist es sein eigenes Haar oder eine Perücke?, fragt Gail sich. Es gibt inzwischen so täuschend echte.
* * *
Dima drängt auf eine Partie Tennis für morgen. Perry windet sich, beschwört Dima wie einen alten Freund, der er ja in den drei Wochen seit Antigua gewissermaßen auch geworden ist.
»Dima, ich weiß wirklich nicht, wie ich es hinkriegen soll«, beteuert er. »Wir sind noch mit einem Riesenhaufen Leute hier in Paris verabredet. Ich habe kein Tenniszeug dabei. Und ich habe Gail hoch und heilig versprochen, dass sie diesmal endlich Monets ›Seerosen‹ zu sehen kriegt.«
Dima kippt einen Schluck Wodka hinunter, wischt sich den Mund ab. »Wir spielen «, sagt er, als würde er eine erwiesene Tatsache feststellen. »Club des Rois. Morgen um zwölf. Hab ich gebucht. Mit verfickter Massage danach.«
»Massage im Regen, Dima?«, fragt Gail neckisch. »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie ein neues Laster entdeckt haben.«
Dima hört gar nicht hin.
»Hab ich ein Termin bei Drecks-Bank, neun morgen früh, ein paar Drecks-Papiere unterschreiben für Armani-Gang.Zwölf dann Revanche, hörst du? Hast du Schiss, ja?« Perry setzt zu neuerlichem Protest an, Dima übertönt ihn. »Nummer 6 . Bester Platz. Eine Stunde Match, dann Massage, dann Lunch. Auf mich.«
Nun endlich schaltet sich der
Weitere Kostenlose Bücher