Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
Vom Netzwerk:
ausmachen, er hat viele Kunden, vor allem junge natürlich, so ein interessanter Mann, wie er ist. Also kommt sie herein, sie schaut, sie sieht Anni, sie fragt mich auf Englisch – ich wusste ja nicht, dass sie Russin ist, an so was denkt man ja nicht, obwohl man es heute wahrscheinlich sollte, ich habe gedacht, sie ist eine Jüdin oder eine Italienerin –, ob ich die Schwester von Max bin. Und ich sage, nein, ich bin nicht seine Schwester, ich bin seine Frau Barbara, wer sind Sie bitte, was kann ich für Sie tun? Ich bin eine Mutter, ich bin sehr beschäftigt, das sehen Sie ja. Kommen Sie wegen einem Termin bei Max, klettern Sie? Wie ist Ihr Name? Und sie sagt, sie heißt Natascha, aber ich habe mich da natürlich schon langsam gefragt.«
    »Was haben Sie sich gefragt?«
    Gail rückte einen zweiten Schemel heran und setzte sich neben Natascha. Sie legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie sacht zu sich her, bis ihre Schläfen aneinanderlagen.
    »Ja, wegen Drogen. Die Jugend von heute, ich meine, man kann gar nicht vorsichtig genug sein«, sagte Barbara mit einer Entrüstung in der Stimme, die besser zu jemand doppelt so Altem gepasst hätte. »Und offen gestanden, die Ausländer, gerade die Engländer, die nehmen ja nur Drogen, fragen Sie Dr. Stettler.« Das Baby quietschte, und sie beruhigte es. »Max sagt es auch, seine jungen Leute, mein Gott, sogar auf der Alm nehmen sie Drogen! Ich meine, Alkohol,das verstehe ich ja noch. Zigaretten natürlich nicht. Ich habe ihr Kaffee angeboten, Tee, Mineralwasser. Vielleicht hat sie mich nicht gehört, ich weiß nicht. Vielleicht war sie auf einem Trip , wie die Hippies sagen. Mit einem Baby mag man so was ja nicht zugeben, aber ich hatte offen gestanden sogar ein bisschen Angst.«
    »Aber Max wollten Sie nicht anrufen?«
    »In den Bergen? Wenn er Gäste hat? Das wäre eine Katastrophe für ihn. Er würde denken, es ist etwas mit ihr, er würde sofort herkommen.«
    »Er würde denken, es ist was mit Anni?«
    »Ja, natürlich!« Sie hielt inne und überdachte die Frage nochmals – eher eine Seltenheit bei ihr, so Gails Verdacht. »Sie meinen, Max könnte wegen Natascha kommen? Das ist ja absurd!«
    Gail nahm Natascha beim Arm, zog sie behutsam in die Höhe, und als sie aufrecht stand, umarmte sie sie und zog sie mit sich bis zur Haustür, wo sie ihr wieder in ihre Straßenschuhe half, dann in ihre eigenen stieg und Natascha über den Bilderbuchrasen davonführte. Sobald sie zum Gartentor hinaus waren, rief sie Perry an.
    Sie hatte ihn einmal aus dem Zug angerufen und noch einmal, nachdem sie das Dorf erreicht hatte. Sie hatte versprochen, ihn praktisch minütlich anzurufen, denn Luke konnte nicht selbst mit ihr reden, ihm saß Dima auf dem Schoß, daher der Umweg über Perry. Und sie wusste, dass die Lage angespannt war, sie hörte es an seiner Stimme. Je ruhiger er klang, desto größer die Spannung, und sie vermutete, dass etwas vorgefallen war. Also sprach sie ihrerseits extrem ruhig, was ihm im Zweifel genau das Gleiche signalisierte:
    »Es geht ihr gut. Alles in Ordnung. Sie ist hier bei mir, ihr fehlt nichts, wir sind auf dem Weg. Wir gehen gerade zum Bahnhof. Wir brauchen als Einziges noch ein bisschen Zeit.«
    »Wieviel?«
    Jetzt war es Gail, die ihre Worte mit Bedacht wählen musste, weil an ihrem Arm Natascha hing.
    »Genug, um unsere Seelen zu klempnern und unsere Nasen zu pudern. Und eins noch.«
    »Ja?«
    »Niemand muss sich fragen lassen, wo er gesteckt hat, in Ordnung? Wir hatten eine kleine Krise, jetzt ist sie vorbei. Das Leben geht weiter. Ich meine nicht nur, wenn wir ankommen. Auch hinterher: keine Fragen an die betroffene Partei. Mit den Mädchen wird das klargehen. Bei den Jungen bin ich mir nicht so sicher.«
    »Mit denen geht das auch klar. Dafür sorge ich schon. Dick wird sich totfreuen. Ich sag ihm gleich Bescheid. Und macht schnell, ja?«
    »Wir tun, was wir können.«
    * * *
    In dem vollbesetzten Zug hinunter nach Spiez hatte es keine Gelegenheit zum Sprechen gegeben, was nicht weiter störte, weil Natascha ohnehin keinen Ton sagte; sie war im Schock und schien zeitweise zu vergessen, dass Gail überhaupt da war. Aber im Zug nach Interlaken begann sie unter Gails sanftem Zureden langsam aus ihrer Starre zu erwachen. Sie saßen nebeneinander in einem Erste-Klasse-Abteil, den Blick geradeaus gerichtet wie damals in dem Zelt in Three Chimneys. Es wurde schon Abend, und sie waren die einzigen Fahrgäste.
    »Ich bin so …«, brach es aus

Weitere Kostenlose Bücher