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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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verblassten, dann verschwanden. Linien in Lila und Blau, die zu einem Punkt ein Stück südlich der Mitte zusammenliefen, oder gingen sie von ihm aus?
    Und sämtliche Linien mit so vielen Abschweifungen, so vielen Kehrtwendungen, so vielen Haken, Verdoppelungen und Richtungswechseln, auf, ab, seitwärts und dann wieder aufwärts … hätte sich sein Sohn Ben in einem seiner unerklärlichen Wutanfälle in diesem selben Zimmer verbarrikadiert, sich eine Schachtel Buntstifte geschnappt und die ganze Wand mit seinem Zickzack vollgekrakelt, die Wirkung wäre keine sehr andere gewesen.
    »Gefällt’s Ihnen?«, fragte Hector dicht hinter ihm.
    »Sind Sie sicher, dass es richtig rum ist?«, fragte Luke zurück, nicht bereit, sich seine Überraschung anmerken zu lassen.
    » Die Anarchie des Geldes nennt sie es. Die Tate Modern wäre sicher begeistert.«
    »Sie?«
    »Yvonne.Unsere eiserne Jungfrau. Sie arbeitet meistens nachmittags. Das hier ist ihr Zimmer. Sie wohnen oben.«
    Zusammen stiegen sie hinauf in einen ausgebauten Speicher mit abgebeizten Balken und Dachgauben. Ein Tapeziertisch von gleicher Art wie bei Yvonne. Hector schien kein Freund von Schreibtischschubladen zu sein. Ein PC . Kein Netzwerkkabel.
    »Wir benutzen kein Festnetz, weder verschlüsselt noch unverschlüsselt«, sagte Hector mit dieser unterdrückten Heftigkeit in der Stimme, die Luke mittlerweile schon von ihm zu erwarten gelernt hatte. »Keine trickreichen Hotlines zur Zentrale, keine E-Mail-Kontakte, ob chiffriert, unchiffriert oder frittiert. Die einzigen Dokumente, mit denen wir arbeiten, sind auf Ollies kleinen orangenen Stöpseln.« Er hielt einen hoch: einen ganz gewöhnlichen USB -Stick, auf dessen orangefarbenes Plastikgehäuse eine Sieben gedruckt war. »Jeder Stick wird, wenn er weitergegeben wird, von jedem von uns auf seiner Seite quittiert, verstehen Sie? Rein, raus. Ollie spielt den Boten, führt die Listen. Schauen Sie Yvonne eine Zeitlang zu, dann haben Sie’s sicher bald raus. Der Rest ergibt sich. Irgendwelche Probleme?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Ich auch nicht. Also entspannen Sie sich, denken Sie an England, verplappern Sie sich nicht und bauen auch sonst keinen Scheiß.«
    An England? Dann doch lieber an unsere eiserne Jungfrau. Unsere beinharte Profi-Schnüfflerin, die nach Eloises teurem Deo duftet.
    * * *
    Dennoch war es ein Rat, den Luke nun schon drei Monate lang nach besten Kräften befolgte, und er betete zu Gott, dass es ihm auch heute gelingen möge. Schon zweimal hatteihn Billy Boy Matlock zu sich beordert, um ihm Honig ums Maul zu schmieren oder ihm zu drohen, meist beides. Zweimal hatte Luke laviert und sich gewunden und nach Hectors Anweisungen gelogen und war damit durchgekommen. Einfach war es nicht gewesen.
    »Yvonne existiert nicht, weder im Himmel noch auf Erden«, so Hectors Ratschluss vom ersten Tag an. »Hat nie existiert, wird nie existieren. Capito? Das ist das A und O. Und wenn Billy Boy Sie an den Eiern am Kronleuchter aufhängt, existiert sie immer noch nicht.«
    Existiert nicht? Die ernste junge Frau mit dem ungeschminkten Gesicht, die am allerersten Abend seines allerersten Tages hier vor der Tür gestanden hatte, in langem dunklem Regenmantel und spitzer Kapuze, eine ausgebeulte Aktentasche mit beiden Armen an sich gedrückt, als hätte sie sie gerade eben der Flut entrissen – diese Frau sollte nie existiert haben?
    »Hallo. Ich bin Yvonne.«
    »Luke. Kommen Sie rein, um Gottes willen!«
    Ein sehr feuchter Händedruck holte sie über die Schwelle. Ollie, der Mann für die Hintertür, brachte einen Kleiderbügel für ihren Regenmantel und hängte ihn in die Toilette, wo er auf den Fliesenboden tropfen konnte. Eine dreimonatige nicht existente Arbeitsbeziehung nahm ihren Anfang. Hectors Papieraversion schloss nicht Yvonnes prallvolle Tasche mit ein, wie Luke im Laufe des Abends erfahren durfte. Das kam daher, dass alles, was sie in ihrer Tasche anschleppte, noch am selben Tag darin auch wieder verschwand. Und das wiederum kam daher, dass Yvonne keine bloße Rechercheurin war, sondern eine geheime Quelle.
    An einem Tag mochte ihre Tasche etwa eine fette Akte von der Bank of England enthalten. An einem anderen eine von der Finanzaufsichtsbehörde, dem Schatzamt, der Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Undan einem Freitagabend, den keiner von ihnen so schnell vergessen sollte, platzte die Aktentasche fast von sechs umfangreichen Bänden und zwanzig Hörkassetten aus den

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