Verr�ter wie wir
immer fürchten, der Blitz des Photographen könnte die Schutzwand zwischen unserem äußeren Ich und dem inneren durchlöchern.
Der Parlamentsabgeordnete Aubrey Longrigg zumindest wirkte ganz entschieden kamerascheu. Selbst jetzt, wo er es nicht einmal merkte, im Halblicht eingefangen von einer wackelnden, minderwertigen Videokamera, von der ihn fünfzig Meter Wasser trennten, schien Longrigg jedes Fleckchen Schatten auszunutzen, das er auf dem lichterfunkelnden Deck der Prinzessin Tatjana nur finden konnte.
Wobei der arme Kerl auch wahrlich nicht photogen war, musste Luke einräumen. Aubrey Longrigg hatte schütteres Haar und ein so böses hakennasiges Gesicht, wie man es nur erwarten konnte bei seiner berüchtigten Intoleranz gegenüber allen, die ihm intellektuell unterlegen waren. Die adriatische Sonne hatte seine wenig reizvollen Züge zu einemflammenden Pink verfärbt, und mit der randlosen Brille wirkte er gleich dreimal wie ein ältlicher Bankbeamter – es sei denn, man kannte wie Luke all die Geschichten von dem rastlosen Ehrgeiz, der ihn antrieb, von dem gnadenlos scharfen Verstand, der den vierten Stock in ein Treibhaus für innovative Ideen wie auch für unversöhnliche Fehden verwandelt hatte, und von seinem erstaunlichen Erfolg bei einer gewissen Art von Frauen – der Art Frauen im Zweifel, denen es Spaß machte, als Dummchen behandelt zu werden. Das neueste Exemplar dieser Spezies stand jetzt neben ihm: Lady Janice (Jay) Longrigg, High-Society-Gastgeberin und Spendenbeschafferin. Es folgte Yvonnes Auszugsliste der zahlreichen Wohltätigkeitsorganisationen, die Lady Longrigg zu Dank verpflichtet waren.
Sie trägt ein elegantes schulterfreies Abendkleid. Ihr sorgfältig frisiertes pechschwarzes Haar wird von einer Strassspange gehalten. Sie hat ein huldvolles Lächeln und diesen königlichen, vorgeneigten Tappelgang, den nur Engländerinnen einer gewissen Abkunft und Gesellschaftsschicht zuwege bringen. Und sie sieht – für Lukes unnachsichtiges Auge zumindest – gnadenlos dumm aus. An ihrer Seite stehen bescheiden ihre beiden präadoleszenten Töchter in Partykleidchen.
»Das ist die Neue, oder?«, rief Matlock, der unverdrossene Labour-Anhänger, mit einem Mal ganz interessiert, als der Bildschirm auf Hectors Knopfdruck hin dunkel wurde und das Deckenlicht wieder anging. »Die er geheiratet hat, als es für ihn plötzlich eine Politikerkarriere sein musste, ohne irgendwelche Schmutzarbeit im Vorfeld. Ein schöner Parteifreund, also wirklich! New Labour hin oder her!«
* * *
Wiesoauf einmal diese Leutseligkeit – und eine echte Leutseligkeit dieses Mal? Das Letzte, womit Luke gerechnet hatte, war Lachen, etwas, was man bei Matlock selbst in den besten Zeiten kaum je erlebte. Aber jetzt bebte sein großer tweedbekleideter Rumpf vor unterdrückter Heiterkeit. Hatte es damit zu tun, dass Longrigg und Matlock jahrelang miteinander auf Kriegsfuß gestanden hatten? Dass in der Gunst des einen zu stehen automatisch bedeutet hatte, beim anderen in Ungnade zu fallen? Dass böse Zungen Longrigg als den Denker vom Dienst tituliert hatten und Matlock, wenig freundlich, als den Bulldozer? Dass bei Longriggs Abgang die Witzbolde das Duell der beiden mit einem jahrzehntelangen Stierkampf verglichen hatten, bei dem der Bulle zu guter Letzt zum Puntillero geworden war?
»Tja, ein Überflieger, das war er, der gute Aubrey«, bemerkte er, als würde er eines Verstorbenen gedenken. »Und dabei auch ein ziemliches Finanzgenie, erinnere ich mich. Nicht Ihr Kaliber, Hector, das denn doch nicht, aber nicht weit davon entfernt. Das Einsatzbudget war nie ein Problem, das können Sie mir glauben, nicht mit Aubrey am Ruder. Ich meine, wie kommt er überhaupt auf dieses Boot?«, fragte derselbe Matlock, der noch Minuten zuvor die Meinung vertreten hatte, man könne einem Mann keinen Strick daraus drehen, dass er bei jemandem auf dem Boot war. »Und verkehrt noch dazu als Ehemaliger mit einem Exinformanten, worüber es im Regelbuch ja nun sehr klare Vorschriften gibt – zumal wenn besagter Informant ein so unsicherer Kantonist ist wie … wie auch immer er dieser Tage zu heißen behauptet.«
»Emilio Dell’Oro«, sprang ihm Hector beflissen bei. »Ein Name, den man sich wird merken müssen, Billy.«
»Man sollte denken, er wüsste es besser, nach allem, was wir ihm beigebracht haben, als mit Emilio Dell’Oro zu verkehren. Man sollte denken, ein Mann, der so, sagen wir, ausgefuchstist wie Aubrey, wäre ein wenig
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