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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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lässt den Bariton des russischen Nachrichtenkommentators die Arbeit für ihn tun. Wie Luke ist auch Hector ein Liebhaber der russischen Sprache – und, mit Vorbehalten, auch der russischen Seele. Wie Luke, das bekundet er offen, kann auch er den Film, der nun läuft, nicht anschauen, ohne jedes Mal wieder aufs Neue fasziniert zu sein von der Zeitlosigkeit, der Unverfrorenheit, der Totalität dieser gesamtrussischen Riesenlüge.
    Und der Moskauer Nachrichtensender kommt bestens allein zurecht, ohne Schützenhilfe von Hector oder sonst irgendwem. Die Baritonstimme ist mehr als imstande, ihre Fassungslosigkeit über die grässliche Tragödie zu vermitteln, über die sie berichtet: diese sinnlose Exekution im Vorbeifahren, diese eiskalte Liquidierung zweier lebensprühender, idealistischer russischer Eheleute aus Perm in der Blüte ihrer Jahre! Wie hätten die Opfer, als sie sich aus ihrer neuen Heimat Italien aufmachten zu einem Besuch im fernen, geliebten Mutterland, ahnen sollen, dass ihre Seelenreise hier enden würde, auf dem efeuüberwucherten Friedhof ihres geliebten alten Priesterseminars mit seinen Zwiebeltürmen und seinen Thujen, an einem Berghang unweit von Moskau am Rande sanft hügeliger Wälder:
    Moskauträgt an diesem dunklen, unwirtlichen Juninachmittag Trauer um zwei unbescholtene Russen und die zwei kleinen Töchter der beiden, die dank einer glücklichen Fügung nicht mit im Auto saßen, als ihre Eltern von terroristischen Elementen unserer Gesellschaft mit Kugeln durchsiebt wurden.
    Im Bild die zerborstenen Fenster und durchlöcherten Türen, das ausgebrannte Wrack eines einstmals luxuriösen Mercedes, auf der Seite liegend zwischen den Silberbirken; das unschuldige russische Blut, das sich auf dem Asphalt in brutaler Großaufnahme mit dem ausgelaufenen Benzin vermengt; die entstellten Gesichter der Opfer selbst.
    Die Gräueltat, so versichert uns der Kommentator, hat den berechtigten Zorn aller verantwortungsbewussten Moskauer Bürger entfacht. Wann hat das Morden ein Ende?, so fragen sie. Wann können anständige Russen wieder auf ihren eigenen Straßen unterwegs sein, ohne von marodierenden tschetschenischen Desperados über den Haufen geschossen zu werden, deren einziges Ziel es ist, Chaos und Schrecken zu verbreiten?
    Michail Arkadjewitsch – aufsteigender internationaler Öl- und Metallhändler! Olga L’wowna – selbstlose Organisatorin von Lebensmitteltransporten für die Bedürftigen Russlands! Liebende Eltern ihrer Töchterchen Katja und Irina! Echte Russen voll Sehnsucht nach dem Heimatland, das sie nun niemals mehr verlassen werden!
    Während die Entrüstung des Sprechers anschwillt, kriecht hinter einer gläsernen Drehorgel eine Kolonne schwarzer Limousinen den waldigen Hang zu den Toren des Priesterseminars empor. Die Prozession kommt zum Stehen, Autotüren fliegen auf, junge Männer in dunklen Designeranzügen springen heraus und formieren sich, um den SärgenGeleit zu geben. Dann Schnitt zu einem grimmig dreinschauenden Polizei-Vizepräsidenten in ordenstarrender Uniform, der steif hinter einem Intarsienschreibtisch sitzt, umgeben von Glückwunschschreiben und Photographien von Präsident Medwedjew und Ministerpräsident Putin:
    Trösten wir uns damit, dass immerhin ein Tschetschene sich bereits zu dem Verbrechen bekannt hat,
    bescheidet er uns, und die Kamera verweilt lange genug auf seinem Gesicht, um uns an seinem Abscheu teilhaben zu lassen.
    Schnitt zurück zum Friedhof. Gregorianische Klagegesänge erklingen, ein Chor junger orthodoxer Priester mit Blumentopfhüten und seidigen Bärten, alle mit Ikonen in den erhobenen Händen, schreitet die Stufen des Seminars hinab auf das Doppelgrab zu, wo die Hauptleidtragenden warten. Das Bild erstarrt, dann wandert die Kamera die Reihe der Trauernden ab. Zu jedem Gesicht wird Yvonnes Untertitel eingeblendet:
    TAMARA , Frau von Dima, Schwester von Olga, Tante von Katja und Irina: steif wie ein Ladestock, auf dem Kopf einen breitkrempigen schwarzen Imkerhut.
    DIMA , Mann von Tamara: sein nacktes, zerstörtes Gesicht so kränklich unter dem angespannten Lächeln, dass es fast ebenfalls einem Toten gehören könnte, obwohl doch gleich neben ihm seine geliebte Tochter steht.
    NATASCHA , Tochter von Dima: ihr Rücken umwallt von der schwarzen Flut ihrer Haare, der schlanke Leib umwallt von sackartigen Trauergewändern.
    IRINA und KATJA , Kinder von Olga und Mischa : ihre Mienen steinern, jede die Hand um eine Hand von Natascha

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