Verr�ter wie wir
vorsichtiger in der Wahl seiner Freunde. Wie kommt’s, dass er überhaupt dort war? Vielleicht gab es ja gute Gründe. Wir sollten kein vorschnelles Urteil fällen.«
»Einer dieser sagenhaften Zufälle, Billy«, erklärte Hector. »Aubrey, seine neueste Frau und die Töchterchen waren in den Bergen nahe der Adriaküste beim Zelten. Ein Londoner Bankierskumpel von Aubrey, Name unbekannt, ruft ihn an und erzählt ihm, dass die Tatjana ganz in der Nähe ankert und dass an Bord eine Party steigt, sie sollen schnell kommen und mitfeiern.«
»Beim Zelten? Aubrey? Sehr witzig.«
»Kleine Camping-Idylle. Das populistische Leben des New-Labour-Aubrey. Ein echter Mann aus dem Volk.«
»Machen Sie Campingurlaub, Luke?«
»Ja, aber Eloise hasst die englischen Campingplätze. Sie ist Französin«, erläuterte Luke und kam sich wie ein Idiot vor.
»Und wenn Sie Ihren Campingurlaub machen, Luke – mit einem weiten Bogen um englische Campingplätze, versteht sich –, haben Sie da normalerweise Ihren Smoking dabei?«
»Nein.«
»Und Eloise, nimmt sie ihre Brillanten mit?«
»Sie hat leider keine.«
Matlock ließ sich das durch den Kopf gehen. »Sie waren sicher viel mit Aubrey zusammen, Hector, bei Ihrem höchst lukrativen Ausflug in den Finanzdschungel, während wir anderen brav unserer Pflicht nachgekommen sind? Haben ab und an mal ein Bierchen gezischt, Sie und Aubrey? Wie man es in der City eben so macht?«
Hector zuckte wegwerfend die Achseln. »Wir sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen. Nackter Ehrgeiz ist nicht mein Ding, muss ich sagen. Zu öde.«
Woraufhin sich Luke, der seine Emotionen nicht mehr soleicht bemänteln konnte wie in früheren Jahren, fast an seinem Stuhl hätte festhalten müssen.
* * *
Über den Weg gelaufen? Allmächtiger, sie hatten einander bekämpft bis zum Umfallen, und noch weiter. Von allen Finanzgeiern, Heuschrecken, Geldhaien und Abzockern, die je gelebt hatten, war Longrigg laut Hector der bei weitem doppelzüngigste, verschlagenste, abgefeimteste, hinterfotzigste und bestvernetzte.
Aubrey Longrigg war es gewesen, der bei dem Anschlag auf die Getreide-Importfirma von Hectors Familie im Hintergrund die Fäden gezogen hatte. Kein anderer als Longrigg hatte durch ein dubioses, aber geschickt geknüpftes Netz aus Hinweisen die Steuerbehörde dazu gebracht, zu nachtschlafender Zeit Hectors Lagerhallen zu stürmen, Hunderte von Säcken aufzuschlitzen, Türen einzutreten und die Nachtschicht zu Tode zu erschrecken.
Durch Longriggs perfide Armada von Whitehall-Kontakten waren das Gesundheitsamt, das Finanzamt, die Brandschutzbehörde und die Einwanderungsbehörde aufgescheucht worden, die daraufhin allesamt anrückten, um die Familienangestellten zu drangsalieren und einzuschüchtern, ihre Schreibtische zu durchwühlen, ihre Kontobücher zu beschlagnahmen und ihre Steuererklärungen zu beanstanden.
Aber Aubrey Longrigg war für Hector nicht einfach der Feind , das wäre zu simpel gewesen. Er war ein Archetyp, ein klassischer Auswuchs der Fäulnis, die die City of London, Whitehall, Westminster sowie Englands kostbarste staatliche Institutionen zerfraß.
Hector bekriegte nicht Longrigg persönlich. Wahrscheinlich sprach er die Wahrheit, wenn er Matlock sagte, Longrigg öde ihn an, denn einer der Grundpfeiler seiner Weltsichtwar es, dass die Männer und Frauen, die er verfolgte, per definitionem Langweiler waren, mittelmäßig, banal, unsensibel, farblos – und von den übrigen Langweilern nur durch zwei Dinge abgehoben: ihren verdeckten Zusammenhalt untereinander und ihre unersättliche Gier.
* * *
Hectors Kommentare kommen jetzt etwas lieblos daher. Wie ein Zauberer, der keine seiner Karten zu lange den Blicken aussetzen will, blättert er im Eiltempo durch den Packen internationaler Schurken, den Yvonne ihm zusammengestellt hat.
Flüchtig im Bild: ein runder, sehr kleiner, sehr herrisch aussehender Mann, der sich am Büfett seinen Teller füllt.
»Wird in deutschen Kreisen Karl der Kleine genannt«, sagt Hector abschätzig. »Halber Wittelsbacher – fragen Sie mich nicht, welche Hälfte das sein soll. Bayer, ein pechschwarzer Katholik, wie man dort sagt, enge Verbindungen zum Vatikan. Noch engere zum Kreml. Bundestagsabgeordneter und im Aufsichtsrat mehrerer russischer Ölgesellschaften, ein guter Kumpel von Emilio Dell’Oro. War letztes Jahr mit ihm in Sankt Moritz beim Skifahren, hat seinen spanischen Lover mitgebracht. Die Saudis vergöttern ihn. Nächstes
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