Verr�ter wie wir
gekrampft.
Der Sprecher nennt ehrfürchtig die Namen der Großen undGuten, die angereist sind, um ihre Reverenz zu erweisen. Vertreten sind der Jemen, Libyen, Panama, Dubai und Zypern. Großbritannien fehlt.
Die Kamera schwenkt zu einer grasigen, von Thujen beschatteten Anhöhe ein Stück weiter hangaufwärts. Sechs, nein, sieben adrette junge Anzugträger, alle Mitte zwanzig bis Anfang dreißig, stehen dort beisammen. Ihre bartlosen Gesichter, schon leicht verfettet zum Teil, sind dem offenen Grab zwanzig Meter unter ihnen zugewendet, an dem sehr aufrecht Dima steht, allein jetzt, den Oberkörper militärisch steif hintübergelehnt wie so oft, den starren Blick nicht auf das Grab vor ihm gerichtet, sondern auf die sieben Anzugträger oben auf dem Hügel.
Ist es ein Standphoto, oder bewegt sich das Bild? Schwer zu sagen, denn Dima hat sich nicht gerührt. Die Männer auf der Kuppe auch nicht. Verspätet erscheint Yvonnes Untertitel:
DIE SIEBEN BRÜDER.
Einen nach dem anderen zeigt die Kamera sie in Großaufnahme.
* * *
Luke hat es seit langem aufgegeben, die Welt nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilen zu wollen. Er hat diese Gesichter zahllose Male studiert, aber dennoch kann er nichts in ihnen entdecken, was sie abhöbe von jedem durchschnittlichen Hampsteader Immobilienmakler, jeder durchschnittlichen Runde von Geschäftsmännern mit schwarzen Anzügen und Aktentaschen in einer schicken Hotelbar zwischen Moskau und Bogotá.
Nicht einmal ihre komplizierten russischen Namen, die nun ins Bild kommen, Vatersnamen, Knastspitznamen, Decknamen,das volle Programm, helfen ihm dabei, in ihren Trägern etwas Spannenderes zu sehen als den Prototyp des mittelsmarten Managers.
Schaut man freilich länger hin, dann bemerkt man, dass sechs von ihnen, ob absichtsvoll oder zufällig, den siebten schützend in die Mitte nehmen. Noch ein wenig länger, und man stellt fest, dass der Mann, den sie abschirmen, keinen Tag älter ist als der Rest und dass sein glattes Gesicht so fröhlich dreinschaut wie ein Kind an einem schönen Sommertag – kein rechtes Beerdigungsgesicht, muss man sagen. Es hat etwas so Blühendes, dieses Gesicht, empfindet Luke, dass man kaum anders kann, als ein urgesundes Naturell dahinter zu vermuten. Wenn sein Besitzer eines Sonntagabends ungebeten vor Lukes Tür stünde und ihm eine Jammergeschichte auftischte, dann würde es ihm schwerfallen, ihn seiner Wege zu schicken. Und sein Untertitel?
DER PRINZ.
Mit einem Mal tritt besagter Prinz heraus aus dem Kreis seiner Brüder, trabt den grasigen Hang hinab und hält, ohne seine Schritte zu verkürzen oder sein Tempo zu verringern, mit ausgebreiteten Armen auf Dima zu, der sich leicht gedreht hat, sich ihm stellt, Brust vorgewölbt, Schultern durchgedrückt, das Kinn trotzig nach vorne gereckt. Aber seine locker gebogenen Hände, so zart im Vergleich zum Rest seines Körpers, scheinen außerstande, sich von seinen Seiten zu lösen. Vielleicht, überlegt Luke jedes Mal, wenn er die Szene sieht, vielleicht wittert er in diesem Moment seine Chance, mit dem Prinzen das zu machen, was er so gern mit dem Mann von Nataschas Mutter gemacht hätte – » damit , Professor!«. Wenn, dann tragen weisere, strategischer ausgelegte Gedanken den Sieg davon.
Langsam,wenn auch leicht verzögert, heben seine Hände sich zur Umarmung, die verhalten beginnt, dann aber, ob aus verkapptem Verlangen oder gegenseitigem Abscheu heraus, in eine innige Umklammerung umschlägt.
In Zeitlupe der Kuss, rechte Wange an linker, so küsst der alte Wor den jungen. Küsst Mischas Beschützer Mischas Mörder.
Und in Zeitlupe der Gegenkuss, linke Wange an rechter.
Und nach jedem Kuss ein Innehalten für Besinnung und Beileid, für jene erstickten Bekundungen zwischen zwei trauernden Hinterbliebenen, die, wenn sie denn ausgesprochen werden, für keinen zu hören sind als nur für die beiden selbst.
In Zeitlupe der Kuss auf den Mund.
* * *
Aus dem Kassettenrecorder, der von Hectors reglosen Händen eingerahmt wird, erklärt Dima den englischen Apparatschiks, wie es ihm möglich ist, den Mann zu umarmen, den er viel lieber totschlagen würde.
»Sicher sind wir traurig, so sage ich ihm. Aber als gute Wory, wir verstehen, warum es nötig war, mein Mischa zu morden! Dieser Mischa, er ist zu gierig geworden, Prinz!, so sagen wir zu ihm. Dieser Mischa, er hat dir dein gottverdammtes Geld gestohlen, Prinz! Er war zu ehrgeizig, zu kritisch! Wir sagen nicht: Prinz, du bist kein echter Wor,
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