Verruchte Lady
die Tür erneut, und zwei elegant gekleidete, verschleierte Frauen betraten den Raum. Gabriel versetzte es einen Stich. Obgleich er die Gesichter der beiden nicht erkennen konnte, wußte er sofort, daß keine von ihnen Phoebe war.
Phoebe würde er inzwischen immer erkennen, ob verschleiert oder nicht. Es war nicht nur ihr leichtes Hinken, das sie von anderen Frauen unterschied. Etwas an der Art, in der sie ihren Kopf hielt, an der Art, wie ihre farbenfrohen, enggeschnittenen Kleider ihre Brüste umrahmten und die Umrisse ihrer Hüften zur Geltung brachten, ließ ihn sie sofort erkennen.
Er warf einen wehmütigen Blick auf das grüne Samtsofa vor dem Ofen. Soviel also zu seinen Plänen, die nächste Stunde damit zu verbringen, seine leichtsinnige Lady zu verführen.
»Guten Morgen, die Damen.« Gabriel zog fragend die Brauen hoch, als seine beiden Gäste vor dem Schreibtisch Platz nahmen. »Wie ich sehe, liegt die Vorliebe für Schleier bei Ihnen in der Familie. Vielleicht haben die Clarington-Frauen ja eine bisher ungeahnte religiöse Berufung.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Wylde.« Lady Clarington hob ihren Schleier und befestigte ihn an ihrem kecken, kleinen blauen Flut. »Ich habe nicht mehr Interesse am Klosterleben als Sie.«
Meredith hob ebenfalls ihren Schleier und machte ihn an ihrem modischen, blumenbesetzten Hut fest. Sie bedachte Gabriel mit einem vorwurfsvollen Blick aus ihren blauen Augen. »Sie hatten schon immer einen eigenartigen Sinn für Humor, Wylde.«
»Vielen Dank, Lady Trowbridge.« Gabriel nickte. »Ich war schon immer der Meinung, daß ein gewisser Sinn für Humor besser ist als gar keiner.«
Meredith blinzelte unsicher. »Ich habe Sie noch nie verstanden.«
»Das ist mir durchaus bewußt.« Gabriel nahm Platz und faltete die Hände auf der Schreibtischplatte. »Wollen wir weiter amüsante Scherze austauschen oder lassen die beiden Damen sich vielleicht dazu herab, mir den Grund ihres Besuches zu nennen?«
»Ich hatte angenommen, der Grund unseres Besuches sei offensichtlich«, sagte Lydia mit einem Seufzer. »Natürlich sind wir wegen Phoebe hier. Meredith hat darauf bestanden.«
Meredith warf ihrer Mutter einen tadelnden Blick zu und wandte sich erneut an Gabriel. »Wir möchten Sie um etwas bitten, Wylde. Wir sind hier, um Sie anzuflehen, Phoebes Leben nicht zu ruinieren.«
»Vorausgesetzt, das ist Ihre Absicht«, murmelte Lydia. Sie sah sich in der Bibliothek um, wobei sie unbewußt blinzelte. »Ich nehme nicht an, daß es Ihnen gelungen ist, in der Südsee ein Vermögen zu machen, oder?«
Gabriel sah sie bewußt verständnislos an. »Warum fragen Sie, Lady Clarington?«
»Weil das die ganze Sache erheblich vereinfacht hätte«, sagte Lydia. »Dann könnten Sie Phoebe heiraten, und niemand würde sich etwas dabei denken. Dann bliebe uns dieser ganze Unsinn erspart.«
»Mama, bitte versuch doch zu verstehen, was hier vor sich geht«, sagte Meredith mit gepreßter Stimme. »Seine Lordschaft liebt Phoebe nicht. Er will sie nur benutzen.«
»Ich bezweifle, daß das klappen wird«, sagte Lydia frei heraus. »Es ist äußerst schwierig, Phoebe zu benutzen, wenn sie es nicht will. Sie ist viel zu willensstark für so etwas.«
Merediths Wangenknochen spannten sich an. Sie faltete ihre Hände im Schoß und begegnete Gabriels Blick. »Sir, ich weiß, daß Sie diese Freundschaft zu Phoebe gesucht haben, damit Sie sie benutzen können, um uns alle zu bestrafen. Ich bitte Sie jedoch zu bedenken, daß sie nichts mit den Dingen zu tun hatte, die vor acht Jahren geschehen sind. Sie war damals noch ein Kind.«
»Sie haben mir in der Nacht erzählt, daß sie diejenige war, die ausprobiert hat, wie man die Bettücher zusammenknoten muß, um aus dem Fenster klettern zu können.« Gabriel konnte sich die Bemerkung einfach nicht verkneifen.
In Merediths wunderhübschen Augen blitzten Tränen auf. »Dafür können Sie sie doch nicht allen Ernstes bestrafen wollen. Sie hat gar nicht verstanden, worum es ging. Sie dachte, es sei alles ein großartiges Abenteuer. Sie hatte all die Bücher gelesen, die Sie mir geschenkt haben, und sie hatte die kindliche Vorstellung, daß Sie irgendein moderner Ritter der Tafelrunde seien. Gütiger Himmel, ich glaube, sie hat Sie für König Artus höchstpersönlich gehalten.«
Plötzlich sah Lydia ihre Tochter alarmiert an. »Weißt du, ich glaube, du hast recht, Meredith. Wenn ich daran zurückdenke, fällt mir ein, daß zu dem Zeitpunkt Phoebes bedauerliche
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