Verruchte Lady
»Das stimmt nicht.«
Meredith kniff auf eine für sie untypische Weise die Augen zusammen. »Sie haben so gut wie zugegeben, daß Sie Phoebe nicht gesagt haben, daß Sie sie lieben. Was haben Sie denn erwartet, wie sie reagieren würde, als man sich einfach über ihren Kopf hinweg über ihre Hochzeit geeinigt hat?«
»Sie ist schließlich kein junges Mädchen mehr«, knurrte Gabriel mit zusammengebissenen Zähnen. »Sie brauchte wirklich nicht einfach wegzulaufen.«
Meredith sah ihn verächtlich an. »Wenn Sie mich fragen, dann war sie praktisch gezwungen, wegzulaufen. Sie hatte schließlich keinen Grund zu der Annahme, daß Sie sich in irgendeiner Weise anders verhalten würden, wenn sie einfach bliebe und den Plänen zustimmte, die Sie und Papa geschmiedet haben. Phoebe hat schließlich durchaus einen eigenen Willen.«
»Sie hat einfach einen Dickschädel«, verbesserte Gabriel.
»Sie hätten zuerst mit ihr über eine Ehe sprechen sollen«, sagte Meredith. »Sie hätten ihr sagen sollen, was Sie für sie empfinden.«
Lydia seufzte. »Irgendwie kann ich nicht glauben, daß das gut sein soll, wenn Männer und Frauen über derart intime Dinge sprechen. Jeder weiß, daß Männer kein besonderes Talent für solche Dinge haben. Sie werden ungeschickt und wütend, wenn sie versuchen, solche komplizierten Gespräche zu führen. Das hängt zweifellos mit ihrem Gehirn zusammen.«
»Zweifellos, Madam.« Gabriel reichte es. Er sah die anderen an. »Also gut dann, da Sie meine Verlobte genau am Tag der Verlobung verloren zu haben scheinen, mache ich mich wohl besser auf den Weg.«
Anthony sprang auf. »Was haben Sie vor?«
»Was meinen Sie, was ich vorhabe? Ich werde ihr natürlich nachreiten. So einfach kommt sie mir nicht davon.« Gabriel ging auf die Tür zu.
»Warten Sie. Ich werde Sie begleiten«, sagte Anthony.
»Nein, das werden Sie nicht tun. Ich habe eine Sonderheiratserlaubnis eingeholt. Phoebe und ich werden diese Sache unter uns ausmachen.«
»Sie werden sie heiraten?« Meredith sah ihn alarmiert an »Warten Sie einen Augenblick, Wylde. Ich muß Ihnen noch etwa sagen.«
»Was?« Gabriel hatte bereits die Tür erreicht. Er bebte vor Ungeduld.
Meredith sah ihn flehend an. »Sie werden doch nett zu ihr sein wenn Sie sie einholen, nicht wahr? Bitte versuchen Sie, ihr Gefühle zu verstehen. Ich weiß, daß sie etwas impulsiv wirkt, aber in Wahrheit ist sie äußerst sensibel. Sie braucht Verständnis.«
»Sie braucht eine starke Hand, die ihr einmal kräftig den Hintern versohlt«, sagte Gabriel, ehe er den Raum verließ.
Aber Merediths letzte Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn während er eilig die letzten Vorbereitungen für seinen Aufbruch traf. Er erinnerte sich an Phoebes Blick, als Clarington sie gestern nachmittag schließlich in die Bibliothek gerufen und ihr eröffnet hatte, daß ihre Zukunft besiegelt sei. Sie war viel zu distanziert und viel zu ruhig gewesen.
Gabriel wurde klar, daß Phoebes Verhalten für sie vollkommen untypisch gewesen war. Er hätte merken müssen, daß etwas nicht stimmte. Aber ihm wäre niemals der Gedanke gekommen, daß sie einfach davonlaufen würde, um einer Heirat mit ihm zu entgehen
Sie sind nicht anders als Kilbourne.
Sie war vor ihm davongelaufen. Dieses Wissen bohrte sich schmerzlich in Gabriels Seele. Aus irgendeinem Grund war er der Überzeugung gewesen, daß seine lebhafte, leichtsinnige Phoebe ihn niemals verlassen würde.
Sie hatte einen entsetzlichen Fehler gemacht. Das wurde Phoebe klar, noch ehe die Kutsche die ersten fünfzehn Meilen zurückgelegt hatte.
Was für ein Dummkopf sie war. Sie rannte vor dem Mann davon, den sie liebte.
Was machte es schon, wenn Gabriel sie noch nicht liebte? Sie hatte den ganzen Rest der Saison, um ihm beizubringen, sie zu lieben. Das würde ihre neue Aufgabe werden.
Ihre Gedanken wurden von einem plötzlichen Holpern der Kutsche und von den überraschten Rufen der Passagiere unterbrochen.
»Mist, eins der Räder is’ gebrochen«, verkündete der Mann mit der Ginflasche. »Das wird uns aufhalten.«
Was Phoebe betraf, so war das gebrochene Rad ein Gottesgeschenk. Nie zuvor war sie für einen Unfall so dankbar gewesen.
Es gelang dem Kutscher, das ramponierte Fahrzeug noch bis zu einem Gasthaus in der Nähe zu manövrieren. Phoebe stieg mit den anderen Passagieren aus, nahm ihre Taschen und betrat das Lokal.
Sie zwängte sich an den anderen Fahrgästen vorbei, die sich vor dem Tresen des Gasthausbesitzers drängten,
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